Wenn Kinder Papier essen: Was normal und was krankhaft ist

Maike Lindberg
Maike Lindberg

Bern,

Wenn Kinder plötzlich Papier futtern, ist das nicht ungewöhnlich. Doch was ist normal und wann sollten Eltern medizinischen Rat einholen?

kind isst papier
Wenn Kinder anfangen, ungewöhnliche Dinge zu essen, könnte dahinter das Pica-Syndrom stecken. - Depositphotos

Die kleine Hand greift blitzschnell zur Serviette, reisst ein Stück ab und steckt es in den Mund. Während die Eltern noch eingreifen wollen, kaut das Kind bereits genüsslich auf dem Papierschnipsel herum.

Diese Szene spielt sich regelmässig in vielen Familien ab und sorgt bei Eltern häufig nicht nur für genervtes Augenrollen, sondern auch für Verunsicherung. Warum isst mein Kind Papier – ist das normal?

Die orale Phase: Erforschen mit dem Mund

Babys und Kleinkinder entdecken ihre Welt hauptsächlich über den Mund. Denn: Im Mund befinden sich mehr Nervenenden als an den Händen, weshalb Kinder nahezu alles in den Mund stecken.

Papier knistert, lässt sich verformen und zerreissen – und ist daher umso spannender. Für Kinder unter zwei Jahren gilt das Essen von Papier deshalb als Teil der normalen Entwicklungsphase.

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Während der oralen Phase ist es ganz normal, dass Kinder sich alles in den Mund stecken – so erforschen sie ihre Umwelt. - Depositphotos

Die Kleinen sammeln Sinneseindrücke und testen Ursache und Wirkung. Wenn sie ab etwa sieben Monaten zahnen, verstärkt sich dieses Verhalten noch.

Wann das Papieressen harmlos bleibt

Unbedrucktes, ungebleichtes Papier ist unbedenklich, da es nur aus Zellulose besteht. Kleine Mengen schaden der Gesundheit nicht.

Problematisch wird es erst bei Druckfarben, die über die Schleimhäute giftige Stoffe in den Körper bringen können. Und wenn kleine Stücke im Hals steckenbleiben, droht gar Erstickungsgefahr.

Eltern sollten ihr Kind beim Umgang mit Papier beaufsichtigen und ihm das Zerreissen für Bastelprojekte anbieten. So wird die Feinmotorik gefördert, ohne dass das Kind das Material verschluckt.

Das Pica-Syndrom: Wenn aus Neugier eine Störung wird

Eine Diagnose des Pica-Syndroms wird erst gestellt, wenn Kinder seit mindestens einem Monat ständig Dinge essen, die keine Nahrungsmittel sind. Bei Kindern unter zwei Jahren gilt dieses Verhalten noch nicht als krankhaft.

Studien zeigen, dass etwa 12 Prozent der autistischen Kinder Pica-Symptome aufweisen. Zwischen 10 und 32 Prozent aller Kinder im Alter von einem bis sechs Jahren essen zeitweise ungeniessbare Dinge.

Die Störung tritt häufiger bei psychischen Grunderkrankungen oder Nährstoffmängeln auf.

Mögliche Ursachen und Warnsignale

Sensorische Bedürfnisse, Stress, Nährstoffmängel wie Eisen- oder Zinkmangel sowie Langeweile können Auslöser sein. Manchmal knabbern Kinder an ungeniessbaren Dinge auch schlicht, um Ängste oder Stress abzubauen.

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Das Pica-Syndrom kann durch traumatische Ereignisse wie Gewalterfahrungen und Missbrauch, aber auch durch Vernachlässigung in der Kindheit ausgelöst werden. - Depositphotos

Manche Kinder haben Schwierigkeiten, essbare von nicht-essbaren Dingen zu unterscheiden. Andere versuchen, Schmerzen im Mund- oder Rachenraum damit zu bekämpfen.

Wenn das Kind neben Papier auch andere Materialien wie Sand, Erde oder Haare isst, sollten Eltern wachsam werden.

Was Eltern tun können

Zunächst gilt: Ruhe bewahren. Eltern sollten nach alternativen und sicheren Ersatzstoffen suchen, wie Kauringen oder Lebensmitteln, die sensorische Linderung verschaffen.

Bei anhaltendem oder sich verschlimmerndem Verhalten ist ein Gespräch mit dem Kinderarzt sinnvoll. Dieser kann Nährstoffmängel abklären und bei Bedarf therapeutische Unterstützung vermitteln.

In den meisten Fällen verschwindet das Papieressen von selbst, sobald die Kinder älter werden.

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Kommentare

User #3742 (nicht angemeldet)

Wenn das Kind Papier isst, wird es später mal Schriftsteller. Wenn es Haare isst Coiffeur. Wenn es in die Tischplatte beisst, Schreiner.

User #8272 (nicht angemeldet)

Unser aufgeweckter Sohn Ferdinand-Maria Anton darf nur die Bände 4, 9 und 15 unserer Goethe-Ausgabe essen (ist nicht tragisch, die Bände stehen doppelt im Regal), aber den Verzehr von Kitschromanen oder Klatheftli unterbinden wir konsequent. Er soll es ja später weiterbringen und mindestens Praktikantin werden.

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