Akute Abhängigkeit: Europas Autoindustrie in Gefahr
Der immense Rückstand bei E-Auto-Batterien könnte die Zukunft der Industrie massiv gefährden. Wie steht es mit der Schweizer Autoindustrie?

Über Jahrzehnte hinweg bildete Europas Automobilindustrie das Fundament der regionalen Wirtschaft. Angetrieben von herausragender Ingenieurskunst im Bereich des Verbrennungsmotors, trug die Branche im Jahr 2023 rund 1.7 Billionen Euro zur Bruttowertschöpfung der europäischen Wirtschaft bei.
Sie war und ist ein gigantischer Arbeitgeber und sichert direkt und indirekt etwa 13.8 Millionen Arbeitsplätze. Jeder in der Automobilindustrie investierte Euro schuf das 2.6-fache an Wertschöpfung in der Gesamtwirtschaft. In den vorgelagerten Sektoren, wie der Metall- und Kunststoffverarbeitung, macht die Automobilindustrie rund 10 Prozent der Bruttowertschöpfung aus.
Diese jahrzehntelange Führungsposition wird jedoch durch einen tiefgreifenden Wandel herausgefordert. Seit 2017 haben europäische Automobilhersteller mehr als 13 Prozentpunkte ihres Marktanteils verloren.
Wertschöpfung abgegraben
Die Transformation hin zur Elektromobilität ist nicht nur ein Branchentrend, sondern ein seismischer Bruch, der die gesamte Wertschöpfungskette umgestaltet. Während 85 bis 90 Prozent der Wertschöpfung eines in Europa produzierten Verbrenner-Fahrzeugs im Heimatmarkt verbleiben, sinkt dieser Anteil bei einem batteriebetriebenen Elektrofahrzeug auf nur 50 bis 60 Prozent.

Ein McKinsey-Bericht schätzt, dass durch diesen Wandel bis zu 370 Milliarden Euro der Bruttowertschöpfung gefährdet sind, was fast 21 Prozent des gesamten Automobil-Wertbeitrags in Europa entspricht.
Der Hauptgrund hierfür ist, dass die Batterie – die über ein Drittel des Gesamtwerts eines E-Autos ausmacht – derzeit überwiegend ausserhalb Europas produziert wird.
Abhängigkeit von China ist alarmierend
Die strategische Verwundbarkeit Europas wird durch eine aktuelle Analyse von Deloitte alarmierend deutlich. Die Studie zeigt, dass Europa im Jahr 2024 einen riesigen Rückstand bei der Batterieproduktion aufweist.
Lediglich 13 Prozent der weltweiten Batterien stammten aus europäischen Produktionsstätten. Der Grossteil dieser Produktion entfiel auf Zweigwerke asiatischer Hersteller, was die europäische Industrie in eine chronische Abhängigkeit von externen Lieferanten drängt.

Besonders kritisch ist, dass 97 Prozent dieser in Europa befindlichen Produktionskapazitäten von nicht-europäischen, vorwiegend chinesischen und südkoreanischen Unternehmen kontrolliert werden. Nur ein einziger europäischer Hersteller produziert in begrenztem Umfang eigene Batterien.
Know-How liegt ausserhalb Europas
Die Zahlen zeichnen ein klares Bild der aktuellen Abhängigkeit, aber die zugrunde liegende Problematik ist weitaus komplexer. Das 13-Prozent-Produktionsvolumen auf europäischem Boden vermittelt eine trügerische Sicherheit.
Die entscheidende Erkenntnis ist, dass die physische Anwesenheit von Fabriken nicht gleichbedeutend ist mit technologischer Souveränität. Die Wertschöpfung, das geistige Eigentum und die Kontrolle über die Lieferkette verbleiben bei den ausländischen Eigentümern.
Europa ist in dieser Konstellation ein reiner Auftragsfertiger, der dem Risiko ausgesetzt ist, von den fortschrittlichsten Technologien abgeschnitten zu werden.
Bedeutung der Batterie
Die Experten von Deloitte sind der Auffassung, dass Europa seinen globalen Produktionsanteil auf mindestens 40 Prozent steigern muss, um eine global entscheidende Rolle zu spielen.

Die Batterie ist nicht nur die teuerste Komponente eines E-Autos, sie definiert auch dessen Leistung und Reichweite. Ohne eine gezielte europäische Industriepolitik droht die Abhängigkeit fortzubestehen und Europas Position in der Elektromobilität langfristig zu marginalisieren.
Die einzigartige Position des Schweizer Automobil-Ökosystems
Die Schweizer Automobilindustrie unterscheidet sich grundlegend von ihren europäischen Nachbarn wie Deutschland. Sie ist kein Grossserienhersteller, sondern ein hochspezialisiertes Zuliefer- und Innovationszentrum.

Mit 574 Unternehmen, die rund 34.000 Mitarbeiter beschäftigen, bildet sie einen wichtigen Pfeiler der Schweizer Industrie. Die Stärke liegt in der Präzisionsfertigung, der Werkstofftechnik, der Forschung und Entwicklung sowie in der Produktion von Nischenprodukten.
Dieser Fokus auf Qualität und Innovation ist sowohl eine strategische Chance als auch eine potenzielle Schwachstelle im globalen Wettbewerb.