Das Kompetenzzentrum Integration und Gleichstellung legt Zahlen vor, welche Gemeinde wie viel Geld für Integration gebraucht hat.
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Ein Taschenrechner (Symbolbild) - Pixabay
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Gemeinden, Kantone und Bund sind sich einig: Dort, wo Flüchtlinge leben, gelingt Integration am besten – in den Gemeinden. Diese erhalten ab Mai deutlich mehr Geld. Pro Flüchtling und vorläufig aufgenommener Person zahlt der Bund dann einmalig 18000 Franken. Bisher sind es 6000 Franken – viel zu wenig, hatten die Kantone kritisiert. Für den Kanton St.Gallen bedeutet die Verdreifachung, dass dieses Jahr 15,5 Millionen Franken im Integrationstopf liegen, letztes Jahr waren es 6 Millionen. Mit dem Geld unterstützt der Kanton Sprach­kurse, Kinderbetreuung und Vereins­mitgliedschaften sowie Angebote der Arbeitsintegration: Vorlehren, Praktika, Bewerbungstrainings. Die Gemeinden schiessen das Geld jeweils vor und können sich bestimmte Massnahmen vom Kanton refinanzieren lassen. Dieser erhält das Geld wiederum vom Bund. Seit gut einem Jahr gilt dieses Konzept.

Erstmals liegen nun Zahlen vor, welche Gemeinde wie viel Geld gebraucht hat. Die Unterschiede sind eklatant. Das Kompetenzzentrum Integration und Gleichstellung hat die Liste vor kurzem den Gemeinden geschickt. «Wir möchten damit Transparenz schaffen», sagt Leiterin Claudia Nef. Bei manchen Gemeinden sei ein tiefer Ausschöpfungsgrad «eine Haltungsfrage», andere seien nicht genug informiert gewesen. Sicher gebe es plausible Gründe; Sanktionsmöglichkeiten habe der Kanton nicht. «Grundsätzlich dürfte ein tiefer Ausschöpfungsgrad bedeuten, dass eine Gemeinde wenig für die Integration unternimmt.»

Für 79-Jährige fielen keine Massnahmen mehr an

Dem widersprechen die Gemeinden. Niederbüren gehört zu denen, die 2018 keine Massnahmen refinanzieren liessen. Die Statistik sei undifferenziert, sagt Gemeindepräsident Niklaus Hollenstein. Es könne «durchaus ein falsches Bild» über die «erfolgreich umgesetzten Integrationsmassnahmen» in den Gemeinden entstehen. Zwei Personen wären 2018 in Niederbüren für Massnahmen in Frage gekommen. Die eine ist gemäss Hollenstein seit sechs Jahren in der Schweiz und arbeitet seit vier Jahren Vollzeit im Gastgewerbe. Sie komme für Lebensunterhalt und integrative Massnahmen selbst auf. Die andere habe den Status anerkannter Flüchtling im Dezember 2018 erhalten; Integrationsmassnahmen liefen ab diesem Jahr. Auch Amden und Nesslau schöpften 2018 kein Geld aus dem Topf. Sie verweisen auf Kollektiv- und Gruppenunterkünfte, die ihre Verteilzahl beeinflussten. Der Kanton berechnet jedes Jahr für jede Gemeinde ein Kostendach. Er nimmt den Durchschnitt der Flüchtlinge und vorläufig aufgenommenen Personen, die in den vergangenen 24 Monaten in einer Gemeinde lebten, als Grundlage. Nesslau sei derzeit für eine vorläufig aufgenommene Person zuständig, sagt Gemeindepräsident Kilian Looser. Die 79-Jährige lebe bei ihrer Familie. «Integrationsmassnahmen fallen da keine mehr an.»

Patrik Müller, Präsident des Trägervereins Integrationsprojekte St.Gallen der St.Galler Gemeinden, verweist auf die Autonomie der Gemeinden und die Individualität der Fälle. «Wir sind mit dem Konzept auf einem guten Weg.» Auch Bernhard Keller, Geschäftsführer der Vereinigung der St.Galler Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten, findet, das Modell habe sich «grundsätzlich bewährt». Es brauche aber eine Diskussion darüber, wie man mit Nebenkosten wie Mittagsverpflegung umgehe.

Tübach ist eine von 20 Gemeinden, die ihr Kostendach 2018 erreichten. Dort lebten gemäss Gemeindepräsident Michael Götte 13 Erwachsene und vier Kinder mit entsprechendem Status. Die Gemeinde setzte ihre 14680 Franken für diverse Massnahmen ein: Sprachkurse, Integrationsförderkurse, Mitgliedschaft im Volleyballverein. Götte beurteilt den Erfolg dieser Massnahmen als gut. Eine Person könne ab dem Sommer ein Praktikum in einer Autogarage machen. Eine weitere absolviere derzeit eines in einem Hotel und beginne dort im Sommer eine Lehre. In Tübach reichte der Betrag nicht aus; die Gemeinde habe zusätzlich 22000 Franken für Integrationsmassnahmen ausgegeben. So ging es auch anderen Gemeinden. Insgesamt zahlten sie knapp 350000 Franken aus dem eigenen Budget drauf. Die Erhöhung der Pauschale dürfte die Situation entschärfen. Tübachs Kostendach liegt dieses Jahr bei 60494 Franken. Das Geld werde für dieselben Massnahmen eingesetzt wie bisher, sagt Götte und fügt hinzu, dass die Gemeinden nicht nur mehr Geld erhielten, sondern auch mehr Aufgaben finanzieren müssten. «Namentlich, dass die betroffenen Personen für eine Berufsausbildung vorbereitet werden und nicht einfach so schnell wie möglich einer Tätigkeit als Hilfskraft nachgehen.» Das betont auch Patrik Müller: Bisher sei die Devise gewesen, Flüchtlinge so schnell wie möglich aus der Sozial­hilfe abzulösen. «Eine nachhaltige Integration muss das Ziel sein, auch wenn die berufliche Integration dann ein oder zwei Jahre länger dauert.» Es brauche ein Umdenken.

Vier von fünf Flüchtlingen beziehen Sozialhilfe

Die Erhöhung der Pauschale ist Teil der Integrationsagenda Schweiz. Sie umfasst fünf Ziele. Eines ist, dass sieben Jahre nach Einreise die Hälfte aller erwachsenen Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen in den ersten Arbeitsmarkt integriert sind. «Das ist realistisch, aber ambitioniert», sagt Nef. Derzeit beziehen vier von fünf Flüchtlingen im Kanton Sozialhilfe; «deutlich zu viele». Ende 2018 lag die Erwerbsquote von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen im Kanton bei 28 Prozent – mehr als der schweizweite Durchschnitt von 25 Prozent. «Unser Ziel ist nicht so sehr, dass die Ausschöpfungsquote steigt, sondern die Erwerbsquote», sagt Nef.

Die Hälfte des Integrationsgeldes floss 2018 in Sprachkurse. Ein weiterer Grossteil in Qualifizierungs-, Schulungs- und Bildungsangebote, fünf Prozent in die familienergänzende Kinderbetreuung. Viele Gemeinden sagen, sie wollen dieses Jahr mehr für Kinderbetreuung ausgeben. Damit Mütter Sprachkurse besuchen können. Und weil man mit der Integration am besten früh anfange.

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