Covid-19 trifft Indien mit voller Wucht, die Anzahl der Todesfälle ist dramatisch. Hinzu kommen soziale Folgen des Lockdowns, die noch nicht absehbar sind.
Ein indisches Paar
Ein Paar in Indien betrauert den Verlust eines Angehörigen. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Indien verzeichnet seit März einen dramatischen Anstieg der Neuinfektionen mit Covid-19.
  • Das Gesundheitssystem ist komplett überlastet.
  • Hinzu kommen die sozialen Auswirkungen des Lockdowns, die arme Menschen besonders treffen.

Indien hat sich zum Epizentrum der Coronapandemie entwickelt. Das Land wurde von einer heftigen Infektionswelle erfasst – es verzeichnet die höchste Anzahl an Neuinfektionen weltweit. Und kein anderes Land hat mehr durch Covid-19 verursachte Todesfälle zu beklagen – in Indien herrscht tiefe Trauer.

Die Situation ist dramatisch. «Ich habe gesehen, wie eine Frau mit ihrem kranken Mann weinend und um Hilfe rufend mehr als fünf Stunden wartete. Am Ende starb er, bevor Hilfe kam», beschreibt Mridula Narayan, eine Mitarbeiterin des internationalen Hilfswerk World Vision in Indien die Situation vor Ort.

Frau wird ins Spital eingeliefert
Eine Covid-19-Patientin wird ins Spital eingeliefert. - Keystone

Es mangelt an Sauerstoffflaschen, die Krankenhäuser sind überfüllt, vor Krematorien bilden sich Schlangen von Menschen, die Angehörige durch das Virus verloren haben. Die Verzweiflung ist gross.

Zwar hat die indische Regierung die Impfungen für alle Erwachsenen freigegeben, doch bei einer Einwohnerzahl von 1,3 Milliarden wird es lange dauern, bis alle eine Impfdosis erhalten haben. Zudem mangelt es an Impfstoff, obwohl Indien zu den weltweit grössten Herstellern von Impfstoffen gehört.

Zweite Welle weitaus heftiger als die erste

Indien hat die erste Corona-Welle nach einem zweimonatigen Lockdown von März bis Mai im vergangenen Jahr relativ glimpflich überstanden. Wie viele andere Länder weltweit, wagte sich Indien wieder zurück ins Leben – und zurück zur Normalität.

Eine nachlässige Haltung, eine Virusmutante sowie religiöse, sportliche und politische Massenveranstaltungen haben dann allerdings wieder zu einem rasanten Anstieg der Fallzahlen geführt. Mit fatalen Folgen.

Frau mit Essenslieferung
Arme Familien sind jetzt auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. - World Vision

Nun herrscht in vielen Städten wieder ein strikter Lockdown mit weitgehenden Ausgangssperren. Obwohl diese Massnahme notwendig ist, um das Virus unter Kontrolle zu kriegen, sind sie in einem Land wie Indien für Millionen Menschen verheerend.

Gravierende Folgen für Wanderarbeiter

Bereits der erste Lockdown im Frühling 2020 hatte zur Folge, dass sich über zehn Millionen Wanderarbeiter auf den Weg nach Hause machten. Da sie von einem Tag auf den anderen ihre Arbeit – und damit nicht selten ihre Unterkunft – verloren hatten, waren sie gezwungen, in ihre Heimatdörfer zurückzukehren.

Die Polizei ging vielerorts gewaltsam gegen sie vor, da sie sich dadurch nicht an die Ausgangssperre halten konnten. Trotz Schlagstöcken, mangelnder Verpflegung und Hitze setzten sie ihre Heimreise fort. Es kam zu einem Anstieg der Fallzahlen.

Viele Menschen haben ihre Arbeit nun zum zweiten Mal verloren. Wiederum machen sie sich auf den Weg, erneut wurden Millionen von Menschen zu Vertriebenen im eigenen Land – und damit noch tiefer in die Armut getrieben.

Schlimme Folgen für die nächste Generation

Die Folgen des Lockdowns zeigen deutlich, dass in Indien für uns grundlegende Dinge wie Wasser und Seife, um sich die Hände zu waschen, Geld für eine Maske, eine eigene Wohnung und soziale Sicherungssysteme ein Privileg darstellen.

Viele Familien sind in Existenznot geraten. Die Lage für die Kinder ist besonders dramatisch. «Manche Kinder müssen allein zurechtkommen, da beide Eltern im Krankenhaus sind», erklärt Mridula Narayan von World Vision.

Zwei indische Kinder
Kinder, deren Angehörige im Spital sind, müssen alleine zurechtkommen. - World Vision

Die Zukunft der Kinder bereitet dem Hilfswerk deshalb grosse Sorgen. Sie sind gleich mehrfach bedroht: Wenn sie Angehörige verlieren, besteht die Gefahr, dass sie als Waisenkinder auf der Strasse landen oder in die Fänge von Menschenhändlern geraten.

In ärmeren Familien müssen die Kinder zudem zum Einkommen beitragen, statt die Schuldbildung (nach dem Lockdown) fortzusetzen. Laut World Vision sind die Fälle von Kinderarbeit stark angestiegen.

Auch geht das Kinderhilfswerk davon aus, dass die Unterernährung bei Kindern zunehmen wird – mit langfristigen Folgen für ihre Entwicklung.

Hilfe ist dringend notwendig

World Vision arbeitet deshalb mit Hochdruck daran, Geräte zur Sauerstoffherstellung sowie Schutzausrüstung und medizinisches Material für Krankenhäuser und Gesundheitsstationen zu beschaffen, sodass möglichst viele Menschen behandelt und gerettet werden können.

Zugleich erhalten bedürftige Familien, beispielsweise von arbeitslos gewordenen Wanderarbeitern, Gutscheine für Nahrungsmittel oder finanzielle Hilfe. Dies hilft auch ihren Kindern.

Mutter mit Kind
Mütter sind um die Zukunft ihrer Kinder besorgt. - World Vision

Noch sind die sozialen Folgen des Lockdowns unübersichtlich. Es ist jedoch deutlich erkennbar, dass insbesondere marginalisierte Gruppen – die Armen, Wanderarbeiter, Frauen und Kinder – an den Auswirkungen der Pandemie leiden. Damit wird Indien noch Jahre zu kämpfen haben.

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