Der lang anhaltende Ausnahmezustand führt viele Menschen in ärmeren Ländern an den Rand ihrer Existenz. Mit drastischen Folgen.
Menschen erhalten Essen
Die Folgen von COVID-19 trifft Menschen in ärmeren Ländern besonders hart. Manche können nur durch Lebensmittelspenden überleben. - World Vision
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Das Wichtigste in Kürze

  • Die Folgen von COVID-19 treffen arme Menschen besonders hart.
  • In Staaten mit schwachen Sozialsystemen ist der Verlust der Arbeit existenzbedrohend.
  • Die Auswirkungen der Pandemie wirft die Armutsbekämpfung um Jahre zurück.
  • Viele können ihre Kinder kaum noch ernähren, es besteht die Gefahr der Ausbeutung.

Ausgangsbeschränkungen, das Aufrechterhalten der Gesundheitssysteme, Grenzkrontollen, die Schliessung von Geschäften: Es herrscht weltweit Ausnahmezustand. COVID-19 stellt jedes Land vor gewaltige Aufgaben.

Auch die Schweiz. Doch obwohl wir alle in irgendeiner Weise von COVID-19 und seinen Auswirkungen betroffen waren und sind, kommt die Schweiz vergleichsweise gut durch die Krise.

Afrikanische Frau mit Kind
In armen Staaten sind die Auswirkungen von COVID-19 und des Lockdowns besonders schwerwiegend. - World Vision

Anders sieht es in armen oder von Konflikten und Kriegen gezeichneten Staaten aus. Ein schlecht funktionierendes Gesundheitssystem und fehlende Infrastruktur erschweren den Kampf gegen das Virus.

Für Menschen aus Ländern mit schwach ausgeprägten Sozialsystemen und grassierender Armut könnten die Folgen des Lockdowns weit bedrohlicher sein als das Virus selbst.

Der informelle Sektor besonders betroffen

Sechs von zehn Menschen auf der Welt arbeiten laut der Internationalen Arbeitsorganisation ILO auf dem informellen Arbeitsmarkt. Im subsaharischen Afrika und Indien sind es sogar über 90 Prozent.

Menschen im informellen Sektor arbeiten als Haushaltshilfen oder Chauffeure, sie kochen und verkaufen an Strassenständen, sammeln Müll oder arbeiten auf Baustellen. Es sind Jobs, die nicht formell geregelt sind und keinerlei staatliche oder vertragliche Absicherung bieten.

Die wenigsten dieser Menschen haben Ersparnisse. Sie können aber von heute auf morgen ihre Jobs verlieren. Viele Menschen aus diesem Sektor leben daher sprichwörtlich von der Hand in den Mund. Die Pandemie-Massnahmen sind für sie besonders verheerend.

Wer weiterarbeiten kann, ist dem Virus oft schutzlos ausgesetzt. Diese Menschen haben nur begrenzt Zugang zum Gesundheitssystem. Ihr niedriges Einkommen erlaubt es ihnen nicht, selbst grundlegende Hygieneprodukte wie Seife oder Masken zu kaufen.

Frau mit Kind
Beschäftigte im informellen Sektor haben kaum Ersparnisse. Verlieren sie ihren Job, können sie ihre Kinder nicht mehr versorgen. - World Vision

Kathryn Tätzsch, Katastrophenmanagerin der internationalen Kinderhilfsorganisation World Vision in Ostafrika berichtet: «Millionen Menschen in Afrika und anderen Teilen der Welt stehen vor einer tragischen Wahl. Sie können sich entweder dem Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus aussetzen oder sie verlieren ihre Einnahmen und setzen sich und ihre Kinder der Gefahr aus, an den Folgen von Mangel- oder Unterernährung zu sterben.»

Die ILO schätzt, dass das Einkommen der informell Beschäftigten weltweit um 60 Prozent gesunken ist. Ohne alternative Einkommensquellen werden diese Menschen und ihre Familien noch tiefer in die Armut und somit an den Rand ihrer Existenz getrieben.

Menschenhandel als Folge

Joseph Wesley, verantwortlich für Projekte gegen Menschenhandel bei World Vision Indien, befürchtet deshalb, dass Kriminelle die Notlagen von Familien ausnutzen könnten und ihnen Kredite geben, die sie in Abhängigkeit zwingen:

«Die Lage der früher schon gering verdienenden Arbeiterinnen und Arbeiter im informellen Sektor ist wegen der COVID-19-Sperren unsicherer als je zuvor. Viele können ihre Kinder kaum noch ernähren, und so sind diese extrem anfällig für alle Formen der Ausbeutung, einschliesslich des Menschenhandels. Wir gehen davon aus, dass der Menschenhandel nach der Pandemie zu den grössten Gefahren für die Schwächsten zählen wird.»

Schnelle Hilfe notwendig

World Vision warnt eindringlich vor den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Epidemie in ärmeren Ländern. Die Hilfsorganisation arbeitet darum mit Hochdruck daran, Hilfsmassnahmen für die Bedürftigsten umzusetzen, um ihre soziale Sicherheit zu verbessern.

In solchen Situationen haben sich zweckgebundene Geldtransferleistungen bewährt. Ein schnelles und unbürokratisches Handeln sei jetzt nötig, betont Kathryn Tätzsch. Die Organisation versorgt mit Partnern vor Ort notleidende Familien unter anderem mit mobilen Geldtransfers und digitalen Gutscheinen, zum Beispiel in Honduras, Kenia, Indien oder den Philippinen.

Die Gutscheine lassen sich in kleinen Kiosken in der Nachbarschaft einlösen. Damit wird einerseits das Kleinstunternehmertum unterstützt und zugleich ein Kanal für die Corona-Aufklärung aufrechterhalten.

Familie mit Essenssäcken
Im Amazonasgebiet in Brasilien verteilt World Vision Hygienekits und Nahrungsmittel. - World Vision

Weitere Hilfe erfolgt durch die Verteilung von Lebensmitteln, Hygienekits und Schulmaterial für Kinder, die nicht zur Schule gehen können. Zusätzliche Informationskampagnen zu Kinderschutz legen besonderes Augenmerk auf die Situation der Kinder. Denn sie sind den Folgen der Corona-Krise oft schutzlos ausgeliefert.

Gefährliches Virus, tödliche soziale Folgen

Für uns selbstverständliche Dinge wie ein Dach über dem Kopf, Wasser, Seife, soziale Sicherungssysteme und sogar Social Distancing stellen in vielen Ländern ein Privileg dar.

Umso wichtiger ist es, dass durch die COVAX-Initiative Impfstoffe global gerecht verteilt werden, um das Virus einzudämmen. Noch ist es allerdings so, dass die reichen Staaten einen privilegierten Zugang zu den Impfungen haben. Eine bedrohliche Situation für ärmere Länder. Denn je mehr Zeit es braucht, bis die Bevölkerung geimpft werden kann, desto länger müssen die Massnahmen gegen COVID-19 aufrechterhalten bleiben.

Halten der Lockdown und die damit verbundenen wirtschaftlichen Einbussen jedoch noch lange an, wird die Zahl der Opfer in diesen Ländern am Ende vermutlich höher liegen als die der COVID-19-Toten.

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