Ukraine-Krieg: So könnte er laut vier verschiedenen Experten enden

Vor genau sechs Monaten begann mit der russischen Invasion der Ukraine-Krieg. Vier Experten erklären die jetzige Lage und was ihnen in Erinnerung geblieben ist.

Menschen besuchen am 24. August eine Ausstellung mit zerstörten russischen Panzern in Kiew. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Am 24. Februar, vor genau sechs Monaten, marschierte Russland in die Ukraine ein.
  • Inzwischen herrscht an der Front ein Stellungskrieg – ein Ende ist nicht in Sicht.
  • Vier Experten erklären gegenüber Nau.ch die Situation und erinnern an frühere Ereignisse.

Genau sechs Monate ist es her: Am 24. Februar marschierte Russland in die Ukraine ein. Noch immer gibt es fast täglich neue Schreckensmeldungen aus dem Ukraine-Krieg. Ein Ende ist derzeit nicht abzusehen.

Umfrage

Glauben Sie, dass der Ukraine-Krieg noch lange dauern wird?

Ja.
85%
Nein.
15%

Nau.ch hat vier Experten gefragt, wie die Situation derzeit aussieht und wie sich der Ukraine-Krieg weiterentwickeln wird.

Nau.ch: Wie ist aktuell die Situation im Ukraine-Krieg?

Albert Stahel, Sicherheits- und Strategieexperte: «Im Augenblick haben wir eine Art Stellungskrieg, der durch Artillerieduell bestimmt wird.»

Marcel Berni, Strategieexperte der Militärakademie an der ETH Zürich: «Der Krieg ist an weiten Teilen der Front festgefahren. Es kommt nur noch zu mikroskopischen Fortschritten.»

Ulrich Schmid, Russland-Experte an der Universität St.Gallen: «Der Krieg ist mittlerweile ein Abnützungskrieg, in dem kein Sieger auszumachen ist.»

Andreas Heinemann-Grüder, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn (D): «Russland ist in seinen rückwärtigen Gebieten verletzbar, seine Offensive ist weitgehend gestoppt. Der Stellungskrieg hält an.»

Nau.ch: Wie entwickelt sich der Krieg weiter – und wie könnte er enden?

Stahel: «Sollte die Ukraine westliche Waffen wie die ballistischen Flugkörper ATACMS erhalten, könnte sich der Bodenkriegsverlauf zugunsten der Ukraine verändern.»

Die ATACMS ist eine Kurzstreckenrakete aus amerikanischer Produktion. Das Kürzel steht für Army Tactical Missile System. (Symbolbild) - keystone

«Dann bestehen zwei Möglichkeiten, und beide hängen von Putin ab. Entweder zieht er seine Truppen ab. Oder er eskaliert den Krieg zum wirklichen Vernichtungskrieg mit noch mehr Abstandswaffen, eventuell auch Atomwaffen. Eine US-Intervention wäre in diesem Fall denkbar.»

Berni: «Es sind drei Szenarien möglich: erstens, ein zäher Abnutzungskrieg. Zweitens, ein russischer Durchbruch im Donbass und ein ukrainischer Rückzug im Osten. Drittens, eine erfolgreiche Rückeroberung russisch besetzter Gebiete im Süden der Ukraine.»

«Ich glaube, dass das erste Szenario derzeit am realistischsten ist. Von einem Kriegsende sind wir im Moment noch weit entfernt.»

Schmid: «Wahrscheinlich geht der Stellungskrieg weiter. Möglicherweise kommt es in einigen Monaten zu einer Art Dayton-Frieden: Land gegen Frieden. Allerdings wäre eine solche Lösung prekär, weil sie die russische Aggression mit Territorien belohnen würde.»

Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine zum Krieg sind bislang erfolglos geblieben. Jedoch konnte ein Abkommen über die Getreideausfuhr erzielt werden. (Archivbild) - keystone

Heinemann-Grüder: «Der Status quo an der Front wird bis Frühling nächsten Jahres hart umkämpft sein, geprägt von Distanzwaffen, weniger einem Kontaktkrieg. Ich gehe davon aus, dass der Krieg mindestens bis nächsten Sommer anhält und danach in Kriegshandlungen mit geringer Intensität übergeht. Der Krieg wird erst zu einem Ende kommen, nachdem das Putinsche Regime abgelöst wird.»

Nau.ch: Welches Ereignis im Ukraine-Krieg ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Stahel: «Die russischen Kriegsverbrechen – so Butscha – haben mich angewidert.»

Berni: «Ich denke da an eine inszenierte Machtdemonstration Wladimir Putins, drei Tage bevor er den Ukraine-Krieg vom Zaun brach. Für mich wurde damals klar, wie abhängig das verängstigte sicherheitspolitische Umfeld vom Diktator war. Und dass ein künftiger Krieg nicht ein russischer Krieg sein würde, sondern ein Krieg Putins.»

Schmid: «Sicher das Massaker von Butscha und die Zerstörung der Stadt Mariupol

Heinemann-Grüder: «Die Erzählung einer ukrainischen Kollegin über ihre Grossmutter, die auf die Strasse wollte, weil sie dachte, es gäbe ein Salutschiessen. Die Nachbarn stoppten sie.»

«Einige Tage darauf wurde nicht nur die Strasse, sondern das Wohngebäude unter Beschuss genommen. Die Nachbarn, die sich zuvor um sie gekümmert hatten, kamen dabei ums Leben. Die demente Grossmutter überlebte schwer verletzt. Ihre Wohnung ist auch zerstört.»