In dem Aufsehen erregenden Prozess gegen eine Gruppe von türkischen Bürgerrechtsaktivisten sind der prominente Kulturmäzen Osman Kavala und acht weitere Angeklagte am Dienstag überraschend freigesprochen worden.
Jubelnde Unterstützer vor dem Gericht in Silivri
Jubelnde Unterstützer vor dem Gericht in Silivri - AFP

Das Wichtigste in Kürze

  • Freisprüche für acht weitere Bürgerrechtler - Jubel über überraschendes Urteil.
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Es lägen keine «ausreichenden Beweise» für ihre Schuld vor, erklärte der Richter am Gericht von Silivri bei Istanbul. Den Angeklagten war im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten von 2013 ein «Umsturzversuch» vorgeworfen worden. Menschenrechtsaktivisten und auch Politiker in Deutschland reagierten erleichtert auf das Urteil.

Insgesamt waren in dem Verfahren 16 Bürgerrechtsaktivisten angeklagt. Sieben von ihnen, unter ihnen der in Deutschland im Exil lebende Journalist Can Dündar, waren vor der türkischen Justiz geflüchtet. Ihr Verfahren wurde abgetrennt.

Der renommierte Unternehmer und Kulturförderer Kavala war im Oktober 2017 festgenommen worden. Erst nach mehr als einem Jahr legte die Staatsanwaltschaft eine Anklageschrift vor. Kavala wurde darin zusammen mit weiteren Vertretern der türkischen Zivilgesellschaft vorgeworfen, die regierungskritischen Proteste im Istanbuler Gezi-Park im Sommer 2013 finanziert und organisiert zu haben. Wegen «Umsturzversuchs» forderte die Staatsanwaltschaft erst Anfang Februar eine lebenslange Haftstrafe gegen Kavala.

Das Gericht ordnete nun die Freilassung Kavalas an. Nach der Urteilsverkündung brachen dutzende Unterstützer der Angeklagten im Gerichtssaal in lauten Jubel aus. Kavala war durch seine mehr als zweijährige Haft zu einem Symbol der zunehmenden Repression der Zivilgesellschaft durch die islamisch-konservative Regierung nach dem Putschversuch im Juli 2016 geworden. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte Kavala mehrfach persönlich attackiert und ihm vorgeworfen, «Terrorismus zu finanzieren».

Die Gezi-Proteste hatten sich im Mai 2013 an Plänen des damaligen Regierungschefs Erdogan zur Bebauung des Istanbuler Gezi-Parks entzündet. Nach einem brutalen Polizeieinsatz gegen Umweltschützer weiteten sie sich aufs ganze Land aus. Erst nach Wochen gelang es Erdogan, die Protestbewegung niederzuschlagen. Der heutige Staatspräsident betrachtet sie als Verschwörung zum Sturz seiner Regierung.

Der Prozess gegen Kavala war international auf scharfe Kritik gestossen. Im Dezember hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Kavalas sofortige Freilassung gefordert.

«Dieser Prozess hätte gar nicht erst stattfinden dürfen», sagte Emma Sinclair-Webb von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch nach der Urteilsverkündung am Dienstag. «Der einzige Zweck dieses Prozesses war es, Menschenrechtsaktivisten anzugreifen.»

«Der Freispruch war überfällig», erklärte auch Amnesty International. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir reagierte ebenfalls erleichtert. «Das Kartenhaus, mit dem die Erdogan-Justiz die Anklage gegen Osman Kavala und seine Mitangeklagten gezimmert hatte, ist endlich zusammengefallen.» Die Linken-Aussenexpertin Sevim Dagdelen nannte das Urteil eine «schallende Ohrfeige» für Erdogan. Das Urteil mache die Türkei aber «noch nicht zum Rechtsstaat».

Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoglu bezeichnete die Freisprüche als «sehr positive» Nachricht. Das Urteil stärke das Vertrauen in die türkische Justiz, schrieb der Oppositionspolitiker im Kurzbotschaftendienst Twitter.

Erst am Freitag hatte ein Gericht in Istanbul die wegen Terrorvorwürfen angeklagte Schriftstellerin Asli Erdogan in allen Punkten freigesprochen. Die Urteilsverkündung fand in Abwesenheit Erdogans statt, die in Deutschland im Exil lebt.

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