Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Deutschland zur wirtschaftlichen Loslösung von autoritären Staaten aufgerufen, zugleich aber vor Autarkie-Ideen gewarnt.
Frank-Walter Steinmeiner
Frank-Walter Steinmeiner - Lehtikuva/AFP/Archiv
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Das Wichtigste in Kürze

  • Präsident: Welt mit russischem Angriff auf Ukraine an «Schwelle zu neuer Epoche».

«Wir leben von Abhängigkeiten, habe ich an anderer Stelle schon einmal verkürzend gesagt. Der Erfolg unseres Wirtschaftsmodells beruht auf globaler Verflechtung. Das müssen wir uns eingestehen», sagte Steinmeier laut Redetext am Sonntag in Hamburg bei einem Festakt zum 100-jährigen Bestehen des Übersee-Clubs.

Steinmeier äusserte sich dabei mit Blick auf die Lehren aus dem russischen Krieg gegen die Ukraine und die dadurch ausgelösten geostrategischen und geoökonomischen Schockwellen. Die Welt stehe «an der Schwelle zu einer neuen Epoche», sagte er. «Spätestens» seit dem russischen Überfall könne Deutschland seinen Weg weder politisch noch wirtschaftlich «einfach weitergehen, als wäre nichts passiert». Das Land müsse jetzt «umsteuern».

«Der mörderische Überfall Russlands hat uns bitter bewusst gemacht, dass wir uns heute vor irrationalen und unberechenbaren Akteuren schützen müssen», sagte der Präsident laut Redetext weiter. «Wir müssen unsere Demokratien wehrhaft und unsere Volkswirtschaft widerstandsfähig machen.»

Zugleich bleibe Deutschland aufgrund seines Wirtschaftsmodells zwingend «auf offene Märkte und Kundschaft aus aller Welt» angewiesen. Das Land können seinen Wohlstand und seinen Sozialstaat nur durch internationalen Verflechtung und Kooperation mit internationalen Partnern sichern, was zugleich auch Voraussetzung zur Lösung von Krisen wie dem Klimawandel sei.

«Wir dürfen nicht nur darüber diskutieren, wie wir von etwas wegkommen, wir müssen auch klären, wo wir stattdessen hinwollen und wo wir wieder andocken können», fügte Steinmeier mit Blick darauf an. Deutschland müsse «viele neue Partner» gewinnen. Das Land müsse sich an den Weltmärkten breiter aufstellen und Abhängigkeiten «klug austarieren», betonte er.

Mit Blick auf Russland sagte der Bundespräsident: «Es ist und bleibt richtig, dass wir Russland politisch und ökonomisch unter Druck setzen und uns selbst von russischen Energieimporten unabhängig machen.» Dabei sei Russland aber «nur das eine». Die Lektion sei viel grundsätzlicher. Die Bundesrepublik müsse jetzt «entschlossen handeln, um ganz generell unabhängiger von autoritären Staaten zu werden und Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen.» Es gehe darum, eigene «Widerstandskraft» zu stärken.

Ebenfalls mit Blick auf Russland unter Präsident Wladimir Putin sprach Steinmeier von einem «autoritären Regime», das «gegen alle Vernunft und wider die eigenen Interessen» handele. «Dass die russische Führung ihrem imperialen Grössenwahn ganz und gar verfallen würde, dass sie dafür auch den politischen, moralischen und wirtschaftlichen Ruin ihres eigenen Landes in Kauf nehmen würde, das habe ich vor dem 24. Februar nicht für möglich gehalten», fügte der Bundespräsident in seiner Festansprache an.

Steinmeier war früher Kanzleramts- und Aussenminister. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine war er wegen seiner Russland-Politik in seinen früheren Ämtern in die Kritik geraten. Er räumte Fehler ein, etwa in Bezug auf sein Festhalten an der umstrittenen Gas-Pipeline Nord Stream 2.

Der Übersee-Club wurde 1922 wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg in Hamburg von Kaufleuten, Industriellen und führenden Vertretern der Hamburger Politik gegründet. Er sollte zu einer Wiederbelebung der damals schwer in Mitleidenschaft gezogenen globalen Handelsbeziehungen sorgen.

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