Bundesaussenminister Heiko Maas (SPD) hat eindringlich vor einer möglichen Auflösung der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial durch die örtliche Justiz gewarnt.
Heiko Maas (SPD)
Heiko Maas (SPD) - POOL/AFP
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Das Wichtigste in Kürze

  • Auch Europarat zeigt sich beunruhigt.

«Allein die Vorstellung, dass Memorial geschlossen werden soll, muss jeden erschüttern, der den jahrzehntelangen Einsatz dieser Organisation für Menschenrechte und für die Aufarbeitung von politischer Gewaltherrschaft kennt», erklärte Maas am Freitag. Auch der Europarat zeigte sich beunruhigt. Memorial selbst bezeichnete die Vorwürfe als «absurd».

Memorial habe sich «mit mutiger, unermüdlicher Arbeit für die Bürgerinnen und Bürger Russlands grosse Verdienste erworben», erklärte Maas. Aber auch für die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland sei eine unabhängige, kritische und professionelle Aufarbeitung der Geschichte unschätzbar wichtig, betonte er und verwies dabei insbesondere auf die von Deutschen gegen Menschen in der Sowjetunion begangenen Verbrechen.

«Die russische Justiz muss das verbriefte Recht der engagierten Bürgerinnen und Bürger, sich frei in Vereinigungen zusammenzuschliessen, schützen», forderte Maas. Die politisch motivierte Verfolgung der kritischen Zivilgesellschaft müsse aufhören.

Memorial hatte am Donnerstag mitgeteilt, dass die russische Generalstaatsanwaltschaft beim Obersten Gerichtshof ihre Auflösung beantragt habe. Demnach wird der renommierten Organisation vorgeworfen, «systematisch» gegen das Gesetz für «ausländische Agenten» verstossen zu haben. Von dem Gesetz betroffene Organisationen, Medien oder auch Einzelpersonen sind verpflichtet, ihre Finanzquellen offenzulegen und sich bei allen Veröffentlichungen als gelisteter «ausländischer Agent» zu erkennen zu geben.

Memorial wies die Vorwürfe, es verstosse gegen russische Gesetze, als «absurd» zurück. Eine vorläufige Anhörung in dem Fall wurde für den 23. November angesetzt. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International zeigte sich besorgt: «Der Schritt der russischen Behörden, eine der ältesten und einflussreichsten Menschenrechtsgruppen des Landes auszulöschen, zeigt ihre unnachgiebige Entschlossenheit, jede laufende Menschenrechtsarbeit in Russland zu beenden», erklärte die Osteuropa- und Zentralasien-Direktorin, Marie Struthers.

Der Menschenrechtsrat beim russischen Präsidenten, der normalerweise die Entscheidungen des Kreml befürwortet, bezeichnete die mögliche Auflösung von Memorial angesichts von Rechtsverletzungen am Freitag als «nicht angemessen». Die «erzwungene Auflösung der ältesten öffentlichen Organisation» sei eine «extreme Massnahme», erklärte der Rat und kündigte Schritte an, um die Situation aufzuklären.

Der Europarat warnte am Freitag ebenfalls vor einer möglichen Auflösung von Memorial. Dies wäre ein «verheerender Schlag» für die Zivilgesellschaft in Russland, welche «eine essenzielle Säule jeder Demokratie» sei, erklärte die Generalsekretärin des Europarats, Marija Pejcinovic Buric.

Das Vorgehen der russischen Generalstaatsanwaltschaft bezeichnete Buric als «äusserst bedauerlich». Das Gesetz über «ausländische Agenten» stigmatisiere Nichtregierungsorganisationen, Medien und Einzelpersonen und habe in den vergangenen Jahren «repressive Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft in Russland» gehabt. Sie sprach von einer «politischen Entscheidung, die auf die Zerstörung von Memorial» abziele.

Die FDP-Bundestagsabgeordnete Renata Alt bezeichnete das Vorgehen der russischen Justiz als «besorgniserregend». Die Auflösung von Memorial «wäre eine Katastrophe», sei aber auch «ein logischer nächster Schritt in der Vernichtung der NGO-Landschaft in Russland». Der grüne Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer schrieb bei Twitter, das Vorgehen der russischen Behörden gegen Memorial zeige, dass Russlands Staatschef Wladimir Putin «im Innern den 'chinesischen Weg' geht: Repression ohne Rücksicht».

Memorial ist die grösste und älteste Menschenrechtsorganisation Russlands, die noch während der Perestroika von Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow und anderen Dissidenten gegründet worden war. Sie setzt sich seit Jahren für die Aufarbeitung von Vergehen während des Kommunismus sowie für die Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte im heutigen Russland ein. Seit 2016 ist die Nichtregierungsorganisation als «ausländischer Agent» registriert, weil sie teilweise aus dem Ausland finanziert wird.

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