Süssli sieht keinen Ruck in der Schweiz trotz russischer Aggression
Trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine vor knapp vier Jahren sieht Armeechef Thomas Süssli die Schweizer Politik davon unbeeindruckt. «Ich habe nicht das Gefühl, dass seither ein Ruck durchs Land gegangen wäre», sagt er im Gespräch mit der «NZZ» vom Samstag.

In einer Demokratie bestimme die Politik die Mittel. Das akzeptiere er, sagt Süssli. Aber er trage die Verantwortung für die Truppe. Es sei belastend zu wissen, dass im Ernstfall nur ein Drittel aller Soldatinnen und Soldaten vollständig ausgerüstet wäre.
«Ich erinnere mich noch genau an den 24. Februar 2022, als Russland die Ukraine angriff. Für mich war klar: Jetzt braucht es schonungslose Ehrlichkeit. Die Bevölkerung und die Politik dürfen nicht glauben, die Armee sei verteidigungsfähig, wenn sie es nicht ist», warnt der Ende des Jahres abtretende Armeechef.
Warum kein Ruck durch die Schweiz gegangen sei nach dem russischen Überfall auf die Ukraine? Süssli sieht drei Gründe. Erstens liege der letzte Krieg auf Schweizer Boden fast 180 Jahre zurück – der Sonderbundskrieg von 1847. «Wir haben deswegen zum Glück keine kollektive Erinnerung an Kriege, anders als etwa Estland oder Polen», sagt er.
Zweitens wirke der Ukraine-Krieg für viele weit weg. «Tatsächlich liegen zwischen uns und der Ukraine aber nur zwei Länder: Ungarn und Österreich», warnt Süssli.
Und drittens gebe es die Vorstellung, dass Neutralität automatisch schütze. Das sei aber historisch falsch. Es gebe mehrere neutrale Länder, die unbewaffnet waren und in einen Krieg hineingezogen wurden. Neutralität habe nur einen Wert, wenn sie mit Waffen verteidigt werden könne.
Wenn die Schweiz erst ab 2032 oder 2035 ein Prozent des Bruttoinlandproduktes investieren wolle, dauere es bis etwa 2050, um das Land verteidigungsbereit zu machen. Das sei aber zu lang angesichts der Bedrohung.
Aber die Schweizer Armee mache Fortschritte, um beim rasanten Wandel auf dem Gefechtsfeld mitzuhalten. " Wir haben zum Beispiel ein Innovationssystem aufgebaut, wo Milizsoldaten ihre Ideen einbringen können«, sagt Süssli. Dieses Innovationssystem sei entscheidend. "Es erlaubt uns, neue Technologien rasch zur Truppe zu bringen, egal welche», betont der Armeechef.
Um trotz den schwerfälligen Prozessen bei Rüstungskäufen Tempo zum machen, gehe man neue Wege. «Bei den Drohnen kaufen wir zum Beispiel nicht ein bestimmtes Modell auf Vorrat», sagt Süssli.
«Wir suchen stattdessen technologisch interessante Hersteller, mit denen wir Rahmenverträge abschliessen. So können wir später die jeweils neueste Technologie abrufen. Oder wir schreiben nicht mehr ein klar definiertes Produkt aus, sondern umschreiben das Problem, das wir gelöst haben wollen. Dann spielt der Wettbewerb der Ideen.»
Süssli warnt allerdings auch vor einer zunehmenden Verlagerung des Krieges in die Cybersphäre. Der Schweizer Nachrichtendienst sage zum Beispiel, «dass hier über achtzig russische Staatsangehörige mit Bezug zu russischen Geheimdiensten leben».
Der Armeechef plädiert zudem für internationale Zusammenarbeit. «Die Schweiz kann sich nicht autonom verteidigen. Deshalb müssen wir mit anderen Armeen kooperieren können und interoperabel sein, also zusammen funktionieren. Dafür braucht es eine jahrelange Vorbereitung, die bereits begonnen hat», betont er.






