Zwei Frauen ziehen am gleichen Tag in den Bundesrat ein. Warum das kein historischer Moment, sondern vielmehr heikel ist? Eine Historikerin erklärt.
keller-sutter
Viola Amherd (CVP) und Karin Keller-Sutter (FDP) nach ihrer Wahl zu Bundesrätinnen im Dezember 2018. - Keystone
Ad

Das Wichtigste in Kürze

  • Erstmals in der Geschichte der Schweiz werden zwei Frauen in den Bundesrat gewählt.
  • Während viele von einem «historischen Tag» sprechen, schüttelt die Historikerin den Kopf.
  • Wichtig sei jetzt vor allem, sich nicht auf den Lorbeeren auszuruhen.

«Man kann nicht ein bisschen gleichberechtigt sein: Entweder man ist es, oder man ist es nicht», das sagte die erste Schweizer Bundesrätin Elisabeth Kopp (FDP) kürzlich bei einem Aufruf für mehr Frauen in der Politik.

Mit der heutigen Wahl von Viola Amherd (CVP) und Karin Keller-Sutter (FDP) in den Bundesrat, sieht es ganz danach aus, als wäre es der Schweizer Gesellschaft tatsächlich gelungen, die Gleichberechtigung zu erreichen. «Heute ist ein historischer Tag für die Schweiz», jubelt die Frauen-Dachorganisation Alliance F. Zahlreiche Frauen und Männer fallen in den Jubel mit ein.

Doch sind wir mit den drei Frauen im Bundesrat politisch nun wirklich auf der sicheren Seite? «Was ich als Historikerin klar sagen kann, ist: Nein, das sind wir nicht», erklärt Fabienne Amlinger vom Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung an der Universität Bern. Diese vermeintliche Sicherheit ist tückisch: «Das jetzt ist ein heikler Moment für die Frauen, weil nur allzu schnell gesagt werden könnte, dass jetzt alles erreicht worden ist.»

Frauenanteil in der Politik rückläufig

Die Geschichte habe gezeigt, dass man sich im Kampf um Gleichberechtigung nicht auf den Lorbeeren ausruhen dürfe, so Amlinger: «Mit der Doppelwahl von zwei Frauen in den Bundesrat besteht das Risiko, dass man sich zurücklehnt, nicht mehr über das Thema Gleichberechtigung redet und auch nicht mehr mit gleicher Energie daran arbeitet.» Das allerdings wäre verheerend.

Die Historikerin Fabienne Amlinger arbeitet am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern.
Die Historikerin Fabienne Amlinger arbeitet am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern. - ZVG

Amlinger erinnert an die 14 Monate zwischen 2010 und 2011, in denen der siebenköpfige Bundesrat mit Micheline Calmy-Rey, Simonetta Sommaruga, Doris Leuthard und Evelyne Widmer-Schlumpf aus einer Frauenmehrheit bestand. «Damals sprachen einzelne Medien bereits vom Matriarchat. Tatsache ist aber, dass seither die Anzahl Frauen in Kantonsregierungen und im Ständerat wieder stark gesunken ist.»

«Kein historisches Ereignis»

Von einem historischen Ereignis möchte die Geschichtsforscherin also nicht sprechen. «Dass zwei Frauen gleichzeitig in den Bundesrat gewählt worden sind, beide mit gutem Resultat im ersten Wahlgang, ist bemerkenswert, klar», so Amlinger.

Am heutigen Tag von «historisch» zu sprechen, «wäre aber sogar ein bisschen bedenklich», so die Historikerin. «Die Wahl ist schön und begrüssenswert. Aber dass im Bundesrat mindestens drei Frauen vertreten sind, sollte doch einfach selbstverständlich sein – wir leben in einer Demokratie.»

CVP frauenfreundlicher als FDP

Nicht erstaunt hat Amlinger, dass es die FDP – und nicht die christlich geprägte CVP – war, bei der eine Männerwahl heute überhaupt möglich gewesen wäre. «Der liberale Gedanke der FDP ist für die Gleichberechtigung ein Problem. Der Vorsatz: Wenn man nur genug fest will und Gleiches leistet, kann jeder Alles erreichen, funktioniert in den aktuellen Strukturen noch nicht», so Amlinger.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

BundesratUniversität BernDoris LeuthardSimonetta SommarugaStänderatDie Mitte