Die Sozialdemokraten waren während der vergangenen Legislatur nicht nur erfolgreich. Politikexperte Claude Longchamp wagt eine Prognose für die Wahlen 2023.
Politologe Claude Longchamp zieht Bilanz bei der Sozialdemokratischen Partei und ordnet die Ausgangslage für die Wahlen 2023 ein. - Nau.ch
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Das Wichtigste in Kürze

  • Rund ein Jahr vor den Wahlen 2023 stellt Claude Longchamp die Parteien auf den Prüfstand.
  • Der Politikwissenschaftler betont die Bedeutung der Nachfolge von Simonetta Sommaruga.
  • Die Bilanz sei «sehr durchzogen» – die Partei habe es verpasst, für alle zu politisieren.

Die SP hat das «Glück», mit einer neuen Vertretung im Bundesrat in die Wahlen 2023 steigen zu können. Ist dies ein Nachteil, bald schon kein Thema mehr, oder gar ein Vorteil? Zudem hat die SP-Parteileitung mit der Forderung nach einem Frauen-Ticket für die Nachfolge von Simonetta Sommaruga eine Kontroverse losgetreten.

Wahlen 2023 Longchamp SP
Die SP plant, für die Nachfolge von Bundesrätin Simonetta Sommaruga ein reines Frauenticket zu nominieren. (Archivbild) - Keystone

Nau.ch hat bei Politikwissenschaftler Claude Longchamp nachgefragt, welche Chancen er der SP bei den Wahlen 2023 einräumt. Für ihn ist klar: Die Geschlechter-Frage bleibt der SP sicher erhalten.

Erfolgsaussichten eng mit Bundesratsnachfolge verknüpft

Für den Experten steht fest: Die Aussichten der SP sind eng mit der Nachfolge von Simonetta Sommaruga verknüpft. Aus wahlkampftechnischer Sicht wäre es für die Sozialdemokraten sicherlich optimal, eine junge Mutter in den Bundesrat zu schicken. Mit der Berner Regierungsrätin Evi Allemann hat eine Mutter mit schulpflichtigen Kindern ihr Interesse am Amt angemeldet.

Eva Herzog Elisabeth Baume-Schneider
Zwei der SP-Bundesratskandidatinnen, die Ständerätinnen Eva Herzog und Elisabeth Baume-Schneider, während des Hearings an der DV der Juso, am 19. November 2022, in Basel. - Keystone

Auf diese Weise könnte die Partei bei den Wahlen 2023 in den Genuss eines «Baerbock-Effekts» kommen. Das Minimalziel wäre auch mit Eva Herzog und Elisabeth Baume Schneider erreicht. Auf eine SP-Frau soll eine anderer SP-Frau folgen.

Durchzogene Leistungsbilanz

Politologe Claude Longchamp betont: Die Sozialdemokratische Partei hat in der vergangenen Legislaturperiode sowohl grosse Erfolge, als auch bittere Niederlagen verbucht. Einerseits habe die Partei bewiesen, dass sie eine Veto-Macht ist: «Ziemlich alleine» konnten die Sozialdemokraten gleich zwei Volksabstimmungen zu Steuerfragen gewinnen. Gegen die Interessen der Wirtschaft und gegen die gebündelte Macht der bürgerlichen Parteien.

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Obwohl die Sozialdemokraten in Steuerfragen zwei Volksabstimmungen gewinnen konnten, stellt ihnen Claude Longchamp eine «sehr gemischte Bilanz» aus. (Symbolbild) - Keystone

Gleichzeitig stellt der Experte den Sozialdemokraten in sozialpolitischen Fragen eine «sehr gemischte Bilanz» aus. Ausgerechnet in der Legislatur nach der «Frauenwahl 2019» konnte die Partei nicht verhindern, dass das Rentenalter der Frauen angehoben wird. «Die SP musste mitansehen, wie die Frauen-Allianz von 2019 aufgespalten wurde.»

Partei der neuen Mittelschicht

Longchamp ist überzeugt, dass die SP längst keine Partei der Arbeiterschicht mehr sei. Aufgrund des hohen Ausländeranteils innerhalb der Arbeiterschicht wäre dies ohne Ausländerstimmrecht ohnehin kaum umsetzbar. Trotzdem hätten die Sozialdemokraten es nicht geschafft, «für alle» zu politisieren.

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Die SP habe es nicht geschafft, eine Partei «für alle» zu sein – stattdessen mausere sich die Partei seit Jahrzehnten zunehmend zur Partei der Mittelschicht. (Archivbild) - Keystone

Die «Unterschicht» in der Schweiz bestehe nämlich nicht nur aus Arbeitern: Auch das Gewerbe sei dieser Schicht zuzuordnen. Und gerade hier könnten die Sozialdemokraten mit staatlichem Machtausbau und Steuererhöhungen schon lange nicht mehr punkten. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigten hingegen eindeutig, dass die SP eine Partei der neuen Mittelschicht sei. «Sie ist eine Partei von Wählerinnen und Wählern, die im dritten Sektor arbeiten.»

Nach den Wahlen 2023 könnte Alain Berset zittern

Bei kantonalen Wahlen konnten die Sozialdemokraten unter der Leitung von Cédric Wermuth und Mattea Meyer Regierungsratssitze gewinnen; sie haben aber in den kantonalen Parlamenten verloren. Die nationalen Wahlen 2023 wiederum könnten auch die Frage nach der Sitzverteilung in der Landesregierung neu aufwerfen. Claude Longchamp glaubt indes nicht, dass die Bundesversammlung eine neugewählte Bundesrätin gleich wieder abwählen würde. «Das haben wir gesehen bei Herrn Cassis, bei Frau Keller-Sutter, bei Frau Amherd: Die sind irgendwo ‹drüber›», hält der Politologe fest.

Denken Sie, nach den Wahlen 2023 wird die Zauberformel gekippt?

«Wenn jemand zittern muss, dann ist das Bundesrat Alain Berset. Bei ihm – und das ist das grösste Fragezeichen im Moment – weiss man ja nicht einmal, was er will. Will er bleiben, will er das Departement wechseln? Oder hat er nach seinem Präsidialjahr 2023 genug und scheidet aus dem Bundesrat aus?»

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Die neue SP-Vertretung im Bundesrat dürfte auch nach den Wahlen 2023 sicher sein. Alain Berset könnte je nach Wahlausgang allerdings ins Zittern kommen. (Archivbild) - Keystone

Gerade deshalb ist Longchamp überzeugt: Sollte das Frauenticket keinen Wahlerfolg bringen, könnte die Partei nach den Wahlen 2023 von allen Seiten vulnerabel dastehen. In diesem Fall könnte ein allfälliger Rücktritt von Alain Berset einen Keil zwischen die Grünen und die SP treiben.

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