Verena Güntner sucht ein Haustier - fern vom Klischee
«Power» ist Verena Güntners zweiter Roman und steht auf der Shortlist für den Leipziger Buchpreis. Er erzählt von Kindern, die sich von den Grossen nichts mehr sagen lassen. Eine starke Geschichte.

Das Wichtigste in Kürze
- Frau Hitschkes Hund ist weg, einfach verschwunden.
Dabei war sie nur kurz einkaufen bei Edeka. Und nun ist sie genauso verzweifelt wie hilflos, weil sie nicht weiss, was sie tun soll, um ihren kleinen Kläffer namens Power wiederzubekommen. Deshalb bittet sie Kerze um Hilfe.
Kerze ist noch ein Kind, aber anders als «die Hitschke» selbstbestimmt, ohne Angst und mit klaren Vorstellungen davon, was zu tun ist: Sie verspricht, den Hund zu finden. Genau das ist, was Kerze am besten kann, schreibt Verena Güntner in ihrem neuen Roman «Power» über ihre ungewöhnliche Protagonistin: «Versprechen halten. Jeder im Dorf weiss das, und deshalb kommen die Leute zu ihr.»
Es klingt wie der Plot aus einer Kinderbuchreihe, aber was die 1978 in Ulm geborene und inzwischen in Berlin lebende Schriftstellerin daraus gemacht hat, ist eine komplexe, faszinierende und alles andere als kindliche Geschichte. Verdientermassen ist «Power» für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert worden. «In zarter und sicherer Sprache schichtet Verena Güntner Ebene auf Ebene, demontiert Geschlechterzuschreibungen, hält sich fern vom Klischee. Und zeigt, welchen Erzählsog die Suche nach einem verschwundenen Haustier entwickeln kann», hat die Jury ihre Entscheidung begründet.
Am Endes des Romans haben Kerze und ihre gleichaltrigen Freunde sieben Wochen lang nach Power gesucht und ihn schliesslich gefunden - tot und von Maden zerfressen. Und sie haben die Erwachsenen gegen sich aufgebracht, die ihnen ihren Willen nicht mehr aufzwingen können. Auch darum geht es in Güntners Roman: den Konflikt zwischen den Kindern und den «Grossen», die nicht wie sonst das Sagen haben.
Es heisst, der zweite Roman sei der schwerste. Verena Güntner hat sich Zeit mit ihm gelassen. Ihr erster, «Es bringen», über den vaterlos aufwachsenden Jugendlichen Luis erschien 2014, bekam viele gute Kritiken und wurde mit Wolfgang Herrndorfs legendärem Roman «Tschick» verglichen. «Power» ist der Beweis, dass mit Güntner, die in Salzburg Schauspiel studiert und an einer Reihe von Theatern von Bremen bis Wiesbaden auf der Bühne gestanden hat, auch als Schriftstellerin zu rechnen ist.
In ihrem neuen Roman ist ein Kind die Heldin, noch einige Jahre jünger als Luis. Der Roman spielt auf dem Land, in einem Dorf, das etwas Archaisches, aber nichts Anheimelndes hat. Der Huberbauer schikaniert hier seinen Sohn genauso wie seine Arbeiter - nach Gutsherrenart. Anders als der Hubersohn lässt Kerze sich nichts sagen, ordnet sich der Erwachsenenwelt nicht unter, macht, was sie für richtig hält. Und deshalb traut man ihr zu, dass sie schafft, was sie einmal zugesagt hat. «Weil sie Kerze ist. Ein Licht in dieser rabenschwarzen Welt.»
Bei der Suche nach Frau Hitschkes Hund versammelt sie immer mehr Kinder um sich. Schliesslich verschwinden sie im Wald, erst tagsüber, dann kommen sie gar nicht mehr nach Hause zurück. Dass die Kinder bald auf allen vieren kriechen und selbst wie Hunde bellen, gibt der Handlung schnell etwas Surreales. «Power» erzählt eine starke Geschichte, aber keine mit einer einfachen Botschaft. Das spricht eher für als gegen den Roman.
Verena Güntner: Power. DuMont Bucherverlag, Köln, 250 Seiten, 22,00 Euro, ISBN 978-3-8321-8369-1