Viel wurde über die grosse Pop-Diva Madonna zuletzt gelästert - da können Verrisse ihres neuen Albums eigentlich nur noch langweilen. So schlimm wie nach dem ESC-Debakel befürchtet ist «Madame X» nicht. Aber hat Madonnas Musik heute noch irgendeine Pop-Relevanz?
Madonna ist «Madame X». Foto: Universal Music
Madonna ist «Madame X». Foto: Universal Music - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Das Letzte, was Madonna nach einer phänomenalen Karriere mit über 300 Millionen verkauften Tonträgern und sieben Grammys verdient hat, ist Mitleid.

Doch genau dieser Gefahr setzte sich der weibliche Megastar der 80er, in der Ruhmeshalle direkt neben Michael Jackson, Prince, Bruce Springsteen und David Bowie, im Mai aus - mit einem vielfach als Fiasko empfundenen ESC-Gastspiel.

Wacklig und stimmlich indisponiert wirkte die 60 Jahre alte Sängerin auf der riesigen Bühne in Tel Aviv. Voller Sorge (oder auch Häme) wurde daher Madonnas neues Studioalbum «Madame X» erwartet. Stürzt die «Queen of Pop» mit der angekündigten Ausrichtung auf modische Latino-Sounds noch tiefer, verliert sie mit immer neuen Imagewechseln ihre Würde? Oder kann sie sich nochmal neu erfinden? Wie 1998, als sie dem Abstiegs-Geläster ihr Elektropop-Meisterwerk «Ray Of Light» entgegenschleuderte.

Madonnas eher dünne Stimme klingt auf der Platte schonmal besser, auch jünger als an diesem vermaledeiten Abend zwischen all den Möchtegern-Popsternchen beim Eurovision Song Contest (ESC). Gleich im ersten Song «Medellín» trifft die US-Amerikanerin mit Teilzeit-Wohnsitz Lissabon die Töne hell und klar - wenn auch im Studio nachbehandelt. Neben ihr rappt der Kolumbianer Maluma.

Man denkt zurück an «Despacito», Luis Fonsis Latinpop-Ohrwurm von 2017, oder auch an Madonnas «La Isla Bonita» von 1986 - und schwenkt zum englisch-spanischen Gesangsmix das Cocktailglas. «One, two - cha cha cha» säuselt Madonna zu einem mittelschnellen Beat. Sommerhits kann sie also noch. Doch danach geht es bergab - mit «Dark Ballet», einem von Madonnas Lieblingsstudiohelfer Mirwais produzierten Epos, das viel zuviel auf einmal will.

«I can dress like a boy, I can dress like a girl», singt Madonna, als wolle sie ihre einst grenzenlose Gender-Allmacht beschwören. Zuerst Ballade, dann urplötzlich ein Piano-Solo und Klassik-Kitsch, schliesslich eine vermeintlich coole Spoken-Word-Passage - und andauernd diese im heutigen Pop fast schon wieder aus der Mode geratene Stimmenmanipulation per Autotune: Ein kunterbuntes Durcheinander ist dieses «Dark Ballet», unfreiwillig komisch, ja bizarr - und gewiss nicht so modern wie von der Pop-Veteranin mit dem einst zielsicheren Trendbewusstsein erwünscht.

So richtig erholt sich das unruhige, mit rund einer Stunde Spieldauer viel zu lange Album von diesem Tiefpunkt nicht mehr. «God Control» kombiniert House, Hip-Hop und Streicher. Madonna fordert «Democracy!» - ganz nett und durchaus tanzbar. Auch der beim ESC mit dem jungen Rapper Quavo dargebotene Track «Future» bemüht sich um Bedeutungsschwere, ist mit Reggae-Rhythmus und - schon wieder - penetranten Autotune-Vocals aber eher altbacken.

Das Latin-Gospel-Stück «Batuka» klingt hübsch exotisch. Im politischen Song «Killers Who Are Partying» geht es etwas wirr um Schwule, Arme und Frauen, Afrika und Islam, Israel und Indianer - Madonna sieht sich auf der Seite der Schwachen, Verfolgten und Beladenen. Gut gemeint - aber textlich: nun ja...

Mehrere aufwendig produzierte R&B-Balladen und Midtempo-Lieder enthält «Madame X» - da konkurriert die 60-Jährige selbstbewusst mit Nachfolgerinnen wie Beyoncé, Rihanna, Ariana Grande oder Robyn. Auch manche Hinweise auf Madonnas Liebe zu Portugal gibt es in den mehrsprachigen Songs. «In Lissabon wurde meine Platte geboren», sagt sie, dort habe sie «eine magische Welt mit unglaublichen Musikern» entdeckt.

Doch trotz Klangfarben wie Akkordeon und Orgel kommt vieles auf der zweiten Albumhälfte kaum über Füllmaterial hinaus. Am überzeugendsten kriegt Madonna kurz vor Schluss «I Don't Search I Find» hin - der knackige House-Song ist allerdings fast eine Selbstkopie vom 30 Jahre alten Dancefloor-Knaller «Vogue».

Der Gesamteindruck: Die erfolgreichste, zeitweise auch einflussreichste Musikerin der Pop-Moderne klingt nicht mehr modern - und ihre neue Platte wie ein Dokument der Ziellosigkeit. Ein Totalabsturz ist «Madame X» nicht. Für Platz 1 der Charts vieler Länder wird es wie schon bei den durchwachsenen Vorgängern «Hard Candy» (2008), «MDNA» (2012) und «Rebel Heart» (2015) wohl wieder reichen. Aber irgendwie ist Madonna in der Pop-Welt von heute nicht mehr hip, sondern ziemlich egal.

Auf Kritik reagiert die Pop-Diva derweil empfindlich. Sie stört sich besonders an den «endlosen Äusserungen über mein Alter», die einem Mann so nicht widerfahren wären. Für Professor Udo Dahmen, den Direktor der Mannheimer Popakademie, macht es sich Madonna damit zu einfach: «Die Verdienste der früheren Zeit sind gross. Damit sind der Standard und das Level und der Anspruch eines Publikums aber natürlich auch hoch gesetzt. Das ist das Risiko, dem sich jeder Künstler aussetzen muss - unabhängig vom Alter», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Der Pop-Wissenschaftler traut dem Superstar aber durchaus noch etwas zu: «Es wäre sehr interessant zu sehen, wie Madonna sich mit modernen elektronischen Musiken und collagehaften Musiken präsentieren würde. Da gibt es eine Chance, sich mit einem neuen Produzententeam neu zu erfinden.»

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