Geplatzte Jugendträume: «Fehlstart»
Marion Messina wird in Frankreich schon als Erbin Houellebecqs gefeiert. Ihr Debütroman ist ein ätzendscharfes Porträt der jungen, desillusionierten Generation.

Das Wichtigste in Kürze
- «Du sollst es einmal besser haben» war ein Spruch, den Generationen von Eltern ihren Kindern mit auf den Weg gaben und der sich tatsächlich auch sehr oft erfüllte.
Die junge Generation stieg auf der sozialen Leiter nach oben, war gebildeter und wohlhabender.
Die Zukunft schien ein einziges grosses Versprechen. Doch diese Zeit der Verheissungen ist vorbei. In den krisengeschüttelten westlichen Gesellschaften greift die Furcht um sich, dass das Beste bereits hinter uns liegt. Für die Kinder bleiben unsichere, düstere Perspektiven. Marion Messinas Roman «Fehlstart» erzählt mit messerscharfem Sarkasmus von dieser jungen Generation, die mit dem Versprechen von Wohlstand und Teilhabe aufwuchs und am Ende doch mit leeren Händen dasteht.
Aurélie Lejeune hat die Träume des Arbeiterkindes vom Aufstieg verinnerlicht. Die junge Frau aus Grenoble hatte sich ausgemalt, «wie sie mit Leichtigkeit und Demut die soziale Leiter bis zur Spitze erklomm und der Stolz der Familie wurde.» Ihre Eltern - Angehörige der Boomer-Generation - kommen aus einer Zeit, «als ein anständiges Proletarierleben noch möglich war». Sie haben den Mythos der goldenen Nachkriegsjahre verinnerlicht, als man noch als ungelernter Arbeiter in einer Firma anfangen und sie 40 Jahre später mit Titel und guter Rente verlassen konnte.
Für Aurélie dagegen erweist sich schon das Studium als Flop, als Fehlstart ins Leben. Die Universität gaukelt zwar Diversität und Offenheit für alle sozialen Schichten vor, in Wahrheit aber werden hier nur viele junge Menschen «geparkt», um die Arbeitslosenzahlen nicht explodieren zu lassen. Das Ergebnis sind mittelmässig ausgebildete Studenten, die vor allem die «Kunst des Powerpoint und den Managerjargon» beherrschen.
Einziger Lichtblick während Aurélies ödem Jurastudium ist die Begegnung mit Alejandro. Mit dem entwurzelten Kolumbianer erfährt sie zum ersten Mal eine tiefe und echte Liebe, einen emotionalen Ausnahmezustand. Als der junge Mann sie verlässt, fällt sie in ein Loch.
Der zweite Teil des Romans spielt in Paris und dekonstruiert einen weiteren sehr französischen Mythos, nämlich dem von Paris als Sehnsuchtsstadt, in der sich Karrieren und Lebensträume wie von selbst erfüllen. Mit präziser Unbarmherzigkeit schildert Messina die bittere Realität: Die schillernde Metropole ist in Wahrheit ein kalter Moloch und ausgrenzender «Lebensort für Privilegierte». Ein ganzes Heer von jungen Leuten ohne Vermögen fristet hier unter entwürdigenden Bedingungen ein Leben am Rande des Prekariats.
Aurélie heuert nach abgebrochenem Studium als Empfangsdame auf Abruf an. Wie viele andere, die einst mit grossen Hoffnungen nach Paris kamen und in miserabel bezahlten Dienstleistungsberufen enden, kann sie sich nicht einmal ein eigenes Zimmer leisten: «Die Stadt brauchte ihre Arbeitskraft, wollte sie aber nicht in ihren Mauern haben.» Nach einer Zeit in der Jugendherberge findet sie Unterschlupf bei dem 20 Jahre älteren Franck. Der Finanzchef einer Agentur verkörpert die Figur des Aufsteigers aus der Provinz, der es nach jahrelangem Abrackern in dieser «schweineteuren Stadt» geschafft hat. Doch aus dem Kampf folgt kein privates Glück. Wie Aurélie ist Franck ein Gestrandeter, zwar in gesicherter bürgerlicher Existenz, aber doch ebenso mutterseelenallein. Aurélie sieht sich am Ende zu einer existentiellen Entscheidung gezwungen.
Die französische Kritik hat Messina sehr schnell mit Michel Houellebecq («Unterwerfung») verglichen. Nicht ohne Grund, ähneln sich beide Autoren doch in ihrer ätzenden Gesellschaftskritik. In der Konsumwelt sind Gefühle, Sex und Liebe auch nur eine Ware wie viele andere, schnell verfügbar, schnell wegwerfbar. Bei Messina klingt das dann so: «Alle sozialen Beziehungen waren ohne Verpflichtung und konnten ohne Kündigungsfrist beendet werden.» Ihre zentrale Botschaft lautet: Prekäre Lebensverhältnisse bedingen prekäre Beziehungen. Anders als Houellebecq zeigt sie die Entwurzelung nicht an einer obsessiven, neurotischen männlichen Figur, sondern an einer ziemlich normalen jungen Frau. Genau deshalb wirkt der Roman authentisch, echt und ergreifend. Sehr viele werden sich in Aurélie wiedererkennen. Sie ist das Symbol einer verlorenen Generation.
- Marion Messina: Fehlstart, Hanser Verlag, München, 168 Seiten, 19,00 Euro, ISBN 978-3-446-26375-8.