«Corsage»: Der fragile Seelenzustand einer Monarchin
Der Film «Corsage» kommt am 7. Juli in die Kinos. Darin zeigt Regisseurin Marie Kreutzer eine neue, moderne Interpretation der österreichischen Kaiserin «Sisi».

Das Wichtigste in Kürze
- «Corsage» startet am 7. Juli in Deutschland und Österreich in den Kinos.
- Der Film zeigt eine neue Interpretation der Kaiserin «Sisi».
- Die «neue Sisi» unterscheidet sich stark von den bisher gespielten Figuren.
Vicky Krieps als Kaiserin «Sisi» und Regisseurin Marie Kreutzer rütteln mit «Corsage» mächtig an der romantisch-kitschigen Interpretation von Romy Schneider. Das erwartet das Publikum in dem historischen Drama mit modernen Elementen.
«Es ist wahnsinnig interessant, wie unterschiedlich die Sisi-Biografien aus den verschiedenen Epochen sind. Die Zeit bestimmt ja auch diese Figur», erklärte die österreichische Regisseurin Marie Kreutzer (44). Gemeint waren die Bücher, die sie über Kaiserin Elisabeth «Sisi» von Österreich-Ungarn (1837-1898) zur Vorbereitung auf die Dreharbeiten studiert hatte.

Dieser Satz passt allerdings auch vortrefflich auf das historische Drama, was sie und ihr Team kreiert haben. «2022 kann man Sisi auch mal anders erzählen», sagte Kreutzer weiter. Und tatsächlich, ihre Sisi hat nichts mit der Figur von Romy Schneider und Regisseur Ernst Marischka zu tun. Wobei die ältere Romy Schneider in «Corsage» vermutlich gern mitgespielt hätte, um das Image der niedlichen Kaiserin endlich loszuwerden.
Stattdessen sehen wir die luxemburgische und längst international erfolgreiche Schauspielerin Vicky Krieps (38, «Das Boot»). Sie spielt die vielsprachige, extrem sportliche und von einem auferlegten Schönheitswahn getriebene Kaiserin in ihren 40ern so natürlich und faszinierend.

Vicky Krieps war übrigens auch die Ideengeberin für diesen Film. Auf der Bühne der Isarphilharmonie erzählte sie von einer Freundin, bei der sie die «Sissi»-Filme schauen durfte, «jede Weihnachten». Daheim durfte sie das nicht, denn ihre Mutter wollte nicht, dass sie Prinzessinnenfilme schaut.
Bei besagter Freundin habe die damals ungefähr 14-Jährige dann aber auch eine Biografie entdeckt. «Und die habe ich gelesen und gedacht: Hä?
Irgendwas stimmt hier nicht. Irgendwann habe ich mich dann gefragt: Warum hat darüber nicht nochmal wer einen Film gemacht? Das wäre doch vielleicht interessant. Und dann habe ich es vorgeschlagen.»
Darum geht es in «Corsage»
Weihnachten 1877: Es ist der 40. Geburtstag von Kaiserin Elisabeth von Österreich (Krieps). In ihrer Rolle als Repräsentantin an der Seite ihres Mannes Kaiser Franz Joseph darf sie keine Meinungen äussern.
Sie muss immer die schöne junge Kaiserin bleiben. Um dieser Erwartung zu entsprechen, hält sie an einem rigiden Plan aus Hungern, Sport und Messungen der Taille fest.

Doch Elisabeth ist eine wissbegierige und lebenshungrige Frau, deren Widerstand gegen ihr überlebensgrosses Image und die Erwartungen wächst. Sie will nicht länger in einem höfischen Korsett leben.
Moderne Themen und historische Details
Eine Corsage ist ein Shapewear-Kleidungsstück. Damit zeigt der Titel schon die Problematik an, derer sich die Kaiserin bereits damals ausgesetzt sah. Um jeden Preis dünn sein zu müssen, führte dazu, dass Sisi sich von zwei hauchdünnen Orangenscheiben ernährte. Quellen belegen, dass sie sich mit Herausforderungen wie Essstörungen, depressiven Episoden und dem unerfüllbaren Bild der perfekten Mutter quälte.
Angelehnt an der dokumentierten Biografie der Kaiserin entblättert die Filmemacherin Marie Kreutzer Schicht um Schicht den fragilen Seelenzustand der Monarchin. Sie zeigt sie mitnichten nur als leidende Frau, sondern schenkt ihr das Narrativ einer furchtlosen, radikalen, teils auch eiskalten Frau.
Diese raucht, flucht und zeigt schon mal den Mittelfinger. «Sisi war das erste Opfer des Celebrity-Quatsches, den wir heute erleben», fasst Vicky Krieps zusammen. Das sei ihr schon beim Lesen des Drehbuches klargeworden.

Apropos Mittelfinger, nicht alles in «Corsage» ist historisch präzise, die künstlerische Freiheit war den Filmschaffenden auch sehr wichtig. «Ich habe ja Film in Wien studiert und schon immer nach dem Prinzip gelebt:
Die Regeln lernen, um sie zu brechen. Und ich habe natürlich sehr lange recherchiert, aber das irgendwann auch wieder losgelassen und mich dann eher der Fakten bedient.» Aber das sei bei historischen Stoffen ja ohnehin immer schwierig, «weil wie meine geschätzte Kollegin Jessica Hausner mal gesagt hat: 'Wir waren ja alle nicht dabei' und können es nicht überprüfen. Aus dieser Zeit gibt es ja keine Paparazzi-Aufnahmen oder Interviews, sondern nur ein paar Gemälde oder Texte.»
Erwähnenswert ist auch der Schauspieler Manuel Ruby (43), der im Film den Sisi-Cousin und -Vertrauten Ludwig II. (1845-1886) als friedlichen, witzigen und aufgeschlossenen Menschen verkörpert. Also auch anders als das gängige Image heute.
Kinostart am 7. Juli
«Corsage» startet am 7. Juli in Deutschland und Österreich in den Kinos. Fans der «Sissi»-Trilogie (1955, 1956, 1957) können den Film übrigens getrost schauen. Denn die eine Interpretation und Machart hat bis auf wenige Details nichts mit der anderen zu tun. Oder wie Uschi Glas (78) es bei der Filmfest-Premiere im Gespräch mit spot on news formulierte:
«Ich kenne die alten Filme natürlich und habe sie so oft gesehen, dass ich sie jetzt nicht mehr schaue. Aber ich finde, sie haben ihren Platz und sind einfach Klassiker. Man sollte diese alten Filme auch nicht gegen neuere Produktionen aufwiegen.»