Bilal Hassani singt in seinem ESC-Song davon, sich nicht verbiegen zu lassen. Der androgyne Sänger aus Frankreich muss homophobe Angriffe ertragen - wie viele andere Menschen. Aufklärungskampagnen sollen nun helfen.
Bilal Hassani
Bilal Hassani tritt mit dem Lied «Roi» für Frankreich beim ESC-Finale an. - dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Seine platinblonden, schulterlangen Haare und sein androgynes Auftreten - für einige Menschen war das wohl zu viel.

Als Bilal Hassani Anfang des Jahres Frankreichs Kandidat für den Eurovision Song Contest (ESC) wurde, rollte eine Lawine des Hasses auf den 19-jährigen Musiker zu. Er wurde schwulenfeindlich beleidigt, der Hass erwischte ihn mit voller Härte - vor allem im Netz.

«Das war sehr hart. Doch ich war daran schon gewohnt, ich war nicht geschockt», erzählt der Sänger, der am Samstag (18.5.) beim ESC in Tel Aviv seinen grossen Auftritt haben wird - einen Tag, nachdem der Internationale Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie (17.5.) begangen wird. Er erhalte mehrere Hasskommentare pro Minute.

Hassanis Fall wirft erneut ein Schlaglicht auf Homophobie in Frankreich. Denn Hassani ist längst nicht der einzige in dem Land, der Opfer homophober oder transphober Attacken wird.

Beinahe täglich berichten Zeitungen von Angriffen - teils sind sie extrem gewalttätig: Lesbisches Paar in Lyon von 17-Jähriger mit Messer angegriffen. Zwei Männer Arm in Arm in Lille attackiert, bedroht und beleidigt. Vorsitzender eines Anti-Homophobie-Vereins in Paris verprügelt. Und so weiter.

Es war eine Serie der Gewalt, die Ende vergangenen Jahres sogar den Präsidenten auf den Plan rief. «Homophobe Angriffe müssen ein Anliegen für unsere gesamte Gesellschaft sein. Sie sind Frankreichs unwürdig», erklärte Emmanuel Macron und versprach, etwas dagegen zu unternehmen. Auf den Strassen Frankreichs demonstrierten Tausende Menschen gegen die Übergriffe.

Die Zahl homophob oder transphob motivierter Straftaten steigt in Frankreich. Das französische Innenministerium zählte von Januar bis September 2018 einen Anstieg von 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Für Frankreichs bedeutendsten LGBT-Verein, SOS Homophobie, ist 2018 ein «schwarzes Jahr». Er zählt einen Anstieg von 66 Prozent der gewalttätigen Angriffe - besonders viele Attacken haben es im letzten Quartal gegeben, wie es in dem kurz vor dem Internationalen Tag gegen Homophobie am Freitag veröffentlichten Bericht heisst. Auch in Deutschland ist die Zahl der homophoben Attacken 2018 gestiegen.

Positiv sei lediglich, dass mehr Menschen über ihre Erfahrungen sprechen und Übergriffe melden, sagte der Präsident des Vereins, Joël Deumier, vor der Veröffentlichung der aktuellen Zahlen mit Blick auf die allgemeine Entwicklung. Deumier kritisiert allerdings, dass es zwischen den gemeldeten Vorfällen und jenen Fällen, die in ein Strafverfahren münden, eine grosse Diskrepanz gebe.

Er wünscht sich von der Regierung mehr Einsatz. «Wir brauchen eine bessere Schulung von Justiz, Polizei und Schulen», sagt Deumier. Die Menschen dort müssten im Umgang mit Homophobie besser ausgebildet werden - etwa wenn es um Opferaussagen gehe. Auch der Hass im Netz sei ein grosses Problem - Deumier wünscht sich hier eine ähnliche Gesetzgebung wie in Deutschland. Hier müssen soziale Netzwerke klar strafbare Inhalte innerhalb von 24 Stunden nach einem Hinweis darauf löschen. Ansonsten drohen hohe Geldstrafen.

Frankreichs Bildungsministerium startete Anfang des Jahres eine Aufklärungskampagne, um Homophobie und Transphobie in Klassenräumen zu bekämpfen. Unter dem Motto «Es reicht!» («Ça suffit!») sollen Jugendliche und Lehrende sensibilisiert werden. Manchmal werde homophobe und transphobe Gewalt an Schulen verharmlosend abgetan und sei Teil des Alltags. Nur wenige wagten es, darüber zu sprechen - das müsse sich ändern, so das Ministerium. Es ist das erste Mal, dass das Wort «Transphobie» in einer Schulkampagne der Regierung auftaucht.

Frankreich hat Deutschland in Sachen Weltoffenheit ein paar Jahre voraus. Seit 2013 ist die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare dort offen, in Deutschland erst seit 2017. Gegen diese Gesetzesreform gab es damals in Frankreich heftige Proteste. Schliesslich zeigte sich 2016 sogar der Europarat über zunehmende Hassreden gegenüber Homosexuellen und anderen Minderheiten in Frankreich besorgt.

Trotz der beunruhigenden Zahlen hat Deumier von SOS Homophobie Hoffnung. «Es wird besser», sagt er. Die französische Gesellschaft akzeptiere Homosexuelle zunehmend. Doch für einen wahren Wandel in den Köpfen der Menschen müsse die Geschichte der LGBT-Bewegung (englische Abkürzung für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender) auch in den Schulen gelehrt werden, fordert er.

ESC-Kandidat Hassani entschied sich, gegen Hasskommentare im Netz juristisch vorzugehen. «Es ist illegal. Wenn du nichts dagegen unternimmst, wird sich nichts ändern», sagt er. Und: Sein öffentlicher Umgang mit dem Thema habe auch anderen geholfen, sich zu wehren. Hassani wurde wegen seiner marokkanischen Wurzeln oft auch rassistisch angegangen.

«Ich bin ich, und ich werde es immer bleiben», singt er in seinem Wettbewerbslied «Roi» («König») selbstbewusst. Als Figur des öffentlichen Lebens habe er die Möglichkeit, auch für andere zu sprechen, sagt Hassani - und er hat eine Botschaft: «Liebe wird über den Hass siegen.»

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