Selten hat die Bundeskunsthalle eine so umstrittene Ausstellung eröffnet: Trotz neuer Missbrauchsvorwürfe setzt das Museum Popstar Michael Jackson in Szene. Mit Erfolg: Der Besucher erlebt ein Wechselbad der Gefühle.
«Michael Jackson and Bubbles» (1999) von Paul McCarthy. Foto: Henning Kaiser
«Michael Jackson and Bubbles» (1999) von Paul McCarthy. Foto: Henning Kaiser - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • In der Dokumentation «Leaving Neverland» erzählen die beiden Männer James Safechuck (40) und Wade Robson (36), wie Michael Jackson sie als Kinder missbraucht habe.

Am 6. April ist der Film auf ProSieben zu sehen.

Gleichzeitig läuft in der Bundeskunsthalle in Bonn eine Ausstellung zu dem Popstar. Die grosse Frage: Geht das? Klare Antwort: Ja, das geht.

«Michael Jackson: On the Wall» - Laufzeit 22. März bis 14. Juli - ist keine einseitige Verherrlichung, sondern eine Annäherung aus vielen unterschiedlichen Richtungen. Die Kunstwerke konfrontieren jeden Besucher mit seinen eigenen Vorstellungen von dem - wie es heisst - erfolgreichsten aller Entertainer. Die Folge ist ein Wechselbad der Gefühle. Man kann staunen und in Erinnerungen schwelgen. Man amüsiert und man wundert sich. Und schliesslich gibt es Momente, in denen einen ein Gefühl der Beklemmung überkommt.

Lachen kann man über das kolossale Reitergemälde, das Jackson als König Philipp II. von Spanien aus dem 16. Jahrhundert zeigt. Es ist eine Auftragsarbeit von Jackson, die letzte vor seinem Tod 2009 im Alter von nur 50 Jahren. Die Darstellung samt dicker nackter Engelchen über dem «King of Pop» ist so komplett überkandidelt, dass sie sich selbst persifliert.

War Jackson so grössenwahnsinnig, dass er das gar nicht bemerkte? Oder war ihm die Ironie bewusst, spielte er damit? Der Maler Kehinde Wiley zeigte sich jedenfalls überrascht vom Kenntnisreichtum seines mega-prominenten Modells: «Er sprach über den Pinselauftrag des frühen und späten Rubens. Wir redeten zum Beispiel darüber, wie Kleider als Rüstung dienen können.»

Auf dem Bild ist Jackson im vollen Harnisch abgebildet - ein Panzer gegen die Aussenwelt? Noch weiter geht der Fotograf David LaChapelle, der Jackson in einem Triptychon mit Referenzen an Michelangelos «Pietà» als «American Jesus» stilisiert. Die Bilderreihe kann als Allegorie auf den modernen Starkult gelesen werden, der einzelne Künstler vergöttert.

Besondere Aufmerksamkeit widmet die von der National Portrait Gallery in London entwickelte Ausstellung Jacksons Verhältnis zu Andy Warhol. Der Pop-Art-Künstler sammelte seit Ende der 70er Jahre Memorabilien des Musikers, darunter Zeitungsartikel und eine ihm nachempfundene Spielzeugfigur. Warhol war fasziniert davon, wie Jackson den Alltag beeinflusste: Selbst wer sich nicht für Musik interessierte, kam kaum an ihm vorbei.

Die in Berlin lebenden Südafrikanerin Candice Breitz brachte 16 eingefleischte Fans dazu, jeweils einzeln das Album «Thriller» von 1982 nachzusingen und zu -tanzen. In einer Videoinstallation tun sie das jetzt in Endlosschleife. Breitz: «Einer der Fans sagte uns, dass ihr Tag im Aufnahmestudio der beste Tag ihres Lebens gewesen ist, denn sie hasste ihr geregeltes Alltagsleben.» Hier ist der Star ganz zur Projektionsfläche eigener Träume geworden. Persönliches gab Jackson sowieso kaum von sich preis. Er war durch und durch Kunstfigur. Symbolisch dafür stand die Zerstörung seines Gesichts - ein Prozess, der zahlreiche Maler fasziniert hat.

Ein Saal ist Jackson als Ikone der Afroamerikaner gewidmet. Die Jacksons galten Ende der 60er Jahre als die erste schwarze Familie, die in alle amerikanischen Häuser einzog, auch in die der Weissen. Die Künstlerin Susan Smith-Pinelo erinnert sich, dass Schwarze zu dieser Zeit im Fernsehen meist nur als Drogensüchtige und Kriminelle in Erscheinung traten. Umso verstörender ist, dass Jackson zuletzt eine weisse Hautfarbe hatte - nach eigenen Angaben ausgelöst durch die Pigmentstörung Vitiligo.

Und der Missbrauch? Er ist in der Ausstellung ebenfalls präsent, nicht nur in Form einer Erklärung am Eingang, in der die neuen Vorwürfe als «schockierend» bezeichnet werden. So schnitt der Videokünstler Jordan Wolfson aus einem Interview, in dem Jackson die Vorwürfe bestritt, nur seine blinzelnden Augen heraus und zeigt diese isoliert auf einem weissem Monitor.

Am verstörendsten wirkt eine riesige Skulptur von Paul McCarthy: Ganz in Gold und mit comicartig verzerrten Proportionen, hält Jackson hier seinen Schimpansen «Bubbles» fest an sich gedrückt. Die Figur karikiert eine berühmte Porzellanplastik von Jeff Koons, die ihrerseits als Persiflage christlicher Statuen verstanden werden kann. Unwillkürlich denkt man bei «Bubbles» an die Jungen, mit denen sich Jackson auf seiner Ranch «Neverland» umgab. Spätestens durch die jüngsten Entwicklungen hat sich die Wirkung des Werks ins Makabere verschoben. Hier zeigt sich: Kunst hat die Aktualität nicht zu fürchten. Die Anpassung findet im Kopf des Betrachters statt.

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