Heute kommt «A Forgotten Man» in die Deutschschweizer Kinos. Im Interview mit Keystone-SDA spricht Hauptdarsteller Michael Neuenschwander über die schwierige Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg und die Kraft des Kinos.
Der Berner Schauspieler Michael Neuenschwander war für seine Rolle in «A Forgotten Man» für den Schweizer Filmpreis nominiert. Heute kommt der Thriller von Laurent Nègre in die Deutschschweizer Kinos.
Der Berner Schauspieler Michael Neuenschwander war für seine Rolle in «A Forgotten Man» für den Schweizer Filmpreis nominiert. Heute kommt der Thriller von Laurent Nègre in die Deutschschweizer Kinos. - sda - Keystone/ALESSANDRO DELLA VALLE

Die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg, um die es in «A Forgotten Man» zentral geht, wird seit längerer Zeit kritisch angeschaut. Wie sehen Sie das?

Ich hatte seit meiner Schulzeit eine Ahnung, dass es wohl nicht einzig der Wehrwille war, der die Schweiz verschont hat. Durch die Arbeit am Film hat sich die Ahnung konkretisiert. Ich habe unzählige Dokumente gesichtet, Korrespondenzen gelesen, Aussagen von Direktbetroffenen. Ich gehöre aber nicht zu denen, die das Verhalten von damals heute einfach verdammen.

Sondern?

Ein unideologischer Blick ist hilfreich und nötig. Einen unkritischen Umgang mit einem Mythos, der über die Jahrzehnte entstanden ist, empfinde ich als schädlich. Wenn wir die Realität ausblenden, weil wir die Schatten nicht sehen wollen, stört mich das.

Das klingt klar, aber doch zurückhaltend.

Ich bin nicht missionarisch. Damals war die Angst real, die Bedrohung war real. Die damalige Realität darf nicht einfach weggewischt werden. Es wäre aber falsch, nicht zu akzeptieren, dass der Blick zurück ein anderer ist, ein anderer sein darf.

Sie spielen einen Botschafter, der gerne im Rampenlicht steht. Schauspielerinnen und Schauspielern wird das auch nachgesagt.

Natürlich wollen wir angeschaut, gesehen werden. Ich will auf die Bühne, vor die Kamera. Das schliesst aber Hadern, Zweifel und Ängste nicht aus. Und: Der Inhalt ist immer wichtiger als das Ego.

Wie ist es für Sie, sich auf der Leinwand zu sehen?

(lacht) Auch nach vielen Jahren weiterhin nicht einfach. Ich bin mir selber der aufrichtigste und unerbittlichste Kritiker. Die Filme schaue ich die ersten Male immer alleine an. Das kann mitunter schlimm sein. Erst beim fünften, sechsten Mal kann ich das Werk «einfach» schauen.

Das klingt unangenehm.

Ist es auch. Über die Jahre habe ich aber eine gewisse Versöhnlichkeit mir gegenüber entwickelt. Beim Film kommt ja erschwerend hinzu: Das Resultat ist irreversibel.

Zurück zu «A Forgotten Man». Drei Begriffe sind darin wichtig: Kompromisse, Verdrängung und Heimat. Wie gut können Sie Kompromisse eingehen?

(lacht) Ich bin Schweizer. Ich kenne mich also aus mit Kompromissen. Das Abwägen, das Schauen, dass etwas in der Balance bleibt, das kenne ich. Das ist aber nur eine Seite.

Und die andere?

Es gibt in mir auch einen impulsiven, apodiktischen Teil. Ich mag die Reibung, die Konflikte. Ich mag es, an die Ränder zu gehen.

Verdrängung kann mitunter eine attraktive Handlungsoption sein. Einverstanden?

Verdrängung ist ab und an tatsächlich ein Segen. Sie funktioniert aber nur temporär. Ich scheue die Auseinandersetzung, wie erwähnt, nicht – weder mit mir noch mit anderen. Denn am Schluss sind es Selbstreflexion und Spiegelung von aussen, die mich weiterbringen.

Was ist für Sie Heimat?

Eine grosse Frage. Einerseits sicher die Schweiz, Bern, das Emmental. Aber auch Israel. Ich habe die ersten Lebensjahre dort verbracht. Viel später, während einer Reise dort, ist mir, zu meiner Überraschung, die starke Verbindung zu diesem Land aufgefallen. Heimat hat für mich immer auch mit Sprache zu tun. Deshalb lerne ich Hebräisch.

Was vermag Kino? Welche Veränderungskraft hat der Film?

Leider nicht den Einfluss, den sich viele erhoffen. Film und Kino sind aber ein wichtiges Rad im Getriebe, ein weicher Faktor mit Gewicht. Wir erzählen Geschichten, schaffen Narrative. Das darf man nicht der Politik und der Wirtschaft allein überlassen. Gleichzeitig kann Kino natürlich leicht sein, Zerstreuung bieten. Das ist ja das Schöne.

* Dieser Text von Raphael Amstutz, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

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