Peter Metzinger ist Gemeinderat, Quartiervereinspräsident und Unternehmensberater. Der Tausendsassa macht den Anfang der neuen Interviewreihe auf Nau.ch.
Peter Metzinger ist «Mr. Campaigning». Mit seinem Fachwissen unterstützt er auch junge Start-ups als Jury-Member bei «Venture Kick». - @Regula Roost
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Nau.ch: Wie hast du die Ausnahmesituation bisher erlebt?

Peter Metzinger: Ich bin in der glücklichen Lage, vorbereitet gewesen zu sein. Unsere Geschäftsprozesse sind schon seit 10 Jahren so digitalisiert, dass ich von überall arbeiten kann, wir hatten Desinfektionsmittel und Atemschutzmasken. Die WHO hatte 15 Jahre lang gewarnt und ich habe das ernst genommen.

Zudem bin ich in der glücklichen Lage, dass unser Büro sich nur 20 Stockwerke unterhalb unserer Wohnung befindet, sodass ich momentan vor allem geniesse, nicht mehr dauernd so viel zu Meetings fahren zu müssen, weil Kunden und Partner endlich akzeptieren, dass man sehr viele davon auch online abhalten kann. Der Energieverschleiss durch die viele Umherfahrerei (trotz ÖV-Nutzung) wird mir jetzt so richtig bewusst, und ich will nicht wieder zurück zum alten Zustand.

Als Gemeinderat (Parlamentsmitglied) in Dietikon setze ich mich schon länger dafür ein, dass wir mehr digitalisieren, was gerade jetzt gut wäre, denn viele Kommissionssitzungen fielen aus oder wurden verschoben, statt sie online durchzuführen. Das wäre vermeidbar gewesen, wäre die Gesetzgebung schon früher an die lange angekündigte Pandemie angepasst worden.

Was mich zudem sehr beschäftigt und schockiert hat, ist das Ausmass und die Absurdität der Verschwörungstheorien, die umhergeistern, und welche Personen von diesem Virus infiziert sind, darunter Personen, die ich bisher immer für recht vernünftig hielt. Hier hat sich ein Phänomen offenbart, das unserer Gesellschaft erheblichen Schaden zufügen und alle Errungenschaften der Aufklärung seit dem finsteren Mittelalter zunichtemachen kann, und um das wir uns kümmern müssen, wenn wir das Schlimmste erst einmal hinter uns haben.

Nau.ch: Welche Auswirkungen spürst du in deiner Region besonders?

Peter Metzinger: Wir mussten die Generalversammlung des Quartiervereins Limmatfeld digital durchführen, was einwandfrei klappte, aber leider den anschliessenden Austausch verhinderte. Ansonsten müssen wir schauen, wie es weitergeht, denn wir hatten Pläne zur Belebung des Rapidplatzes, die wir nun wahrscheinlich nicht oder nur verspätet werden umsetzen können.

Auch sind wir unsicher, ob das Quartierfest Ende August stattfinden kann. Aber sehr schön war die Solidarität, als wir eine Nachbarschaftshilfe für Einkäufe organisierten. Innerhalb kürzester Zeit meldeten sich zwei Dutzend Helferinnen und Helfer. Ansonsten bemerken wir vor allem die Ruhe. Wir wohnen im 25. Stock und hören zum ersten Mal die Vögel unten zwitschern, was sehr schön ist.

Das Quartier Limmatfeld aus der Vogelperspektive. - @Quartieverein Limmatfeld

Nau.ch: Was vermisst du am meisten?

Peter Metzinger: Momentan vermisse ich fast nichts. Meine Freunde sehe ich jetzt fast öfter, zwar nur am Bildschirm, aber manche sogar, bei denen es sonst Monate bis Jahre gedauert hätte, Freunde aus den USA, Japan und Australien. Dass ich nicht über Ostern zu meinen Eltern nach Deutschland konnte, wird kompensiert durch die erholsame Ruhe, zu Hause zu bleiben. Ich finde, es tut ganz gut, mal einen Gang runterzuschalten. Das einzige, was ich wirklich vermisse, sind die wöchentlichen Proben meiner Band mit dem Namen «300».

Nau.ch: Dein Tipp für einen guten Alltag im Lockdown?

Peter Metzinger: Nicht versuchen anzukämpfen gegen etwas, das man nicht ändern kann, und immer daran denken, dass ein zu frühes Lockdown-Ende zu einer zweiten Welle führen könnte. In der Regel sind die zweiten Wellen die verheerenderen. Also Geduld haben und das Zurückgeworfensein auf sich selbst als Chance sehen, sich selbst besser kennenzulernen und die grosse Frage zu stellen, was man im Leben eigentlich wirklich will. Wenn diese Frage beantwortet ist, kann man die Ruhe dazu nutzen, einen Plan zu erstellen, was man nachher anders machen will.

Nau.ch: Wird sich die Gesellschaft jetzt verändern?

Peter Metzinger: Das ist schwer abzuschätzen. Ich hoffe aber, dass wir uns der Verletzlichkeit unserer Zivilisation bewusster sind und uns dessen bewusst werden, dass man sich anbahnende Katastrophen nicht einfach so politisch wegdiskutieren kann. Denn die zweite Katastrophe läuft ja schon längst, der Klimawandel.

Auch sie verläuft exponentiell, wenn auch mit einer viel längeren Verdoppelungsrate. Hier, wie bei COVID-19 muss die Politik mehr auf die Wissenschaft hören und dann innerhalb der durch die Naturgesetze vorgegebenen Grenzen politisch nach Lösungen suchen, statt das Problem weiterhin zu ignorieren, herunterzuspielen oder zu verpolitisieren. Dann könnten wir die kommende Wirtschaftskrise auch dazu nutzen, die Wirtschaft wieder so aufzubauen, dass sie nachhaltiger funktioniert und wir mindestens die Ziele des Pariser Abkommens erreichen.

Das ging dann hoffentlich einher mit einer gewissen Bescheidenheit angesichts unserer Verletzlichkeit und nur eingebildeten Allmacht. Wir haben nach der Krise hoffentlich gelernt, dass wir globale Probleme global lösen müssen und gemeinsam anpacken können. Zu guter Letzt wünsche ich mir, dass diese Verschwörungstheorien nicht noch mehr Menschen infizieren können.

Peter Metzinger gemalt von der Dietiker Künstlerin Lorena Valentini. - @LOVA

Zur Person

Als «Mr. Campaigning» begleitet Peter Metzinger Unternehmen beim schwierigen Prozess der Transformation. Sein Wissen stellt er als Jurymitglied von «Venture Kick» auch jungen Start-ups zur Verfügung.

Als Präsident des Quartiervereins Limmatfeld und Vorstandsmitglied der IG Silbern (Interessensgemeinschaft Silbern-Dietikon) steht Peter Metzinger für einen jungen, aufstrebenden Stadtteil von Dietikon. Im Gemeinderat setzt sich der FDPler auf politischer Ebene für die Interessen der Dietikerinnen und Dietiker ein.

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