Die Forscherin und Medizinerin Katharina Timper berät und behandelt Betroffene in der Adipositas-Sprechstunde. Noch immer sind Irrtümer weit verbreitet.
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Kollegienhaus der Universität Basel. (Symbolbild) - Universität Basel, Mark Niedermann

Immer mehr Menschen sind stark übergewichtig. Die Forscherin und Medizinerin Katharina Timper hilft: Sie berät und behandelt Betroffene in der Adipositas-Sprechstunde. Dabei muss sie manche Irrtümer richtigstellen.

Noch vor knapp 50 Jahren hatten weltweit nur etwas mehr als drei Prozent der Menschen Adipositas, also starkes Übergewicht, definiert als Body Mass Index (BMI) über 30 Kilogramm pro Quadratmeter. Heute sind es bereits 13 Prozent.

In der Schweiz hat sich der Anteil von Menschen mit Adipositas innert 25 Jahren mehr als verdoppelt – rund jede zehnte Person ist mittlerweile betroffen. Das starke Übergewicht ist ein Hochrisikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, Fettstoffwechselstörungen, Krebs und sogar Demenz. Aber wie entsteht Adipositas, und wie lasst sie sich behandeln?

Ein Lebensstil oder eine Krankheit

Adipositas ist eine Krankheit, bei der erbliche und erworbene Faktoren eine Rolle spielen. Sie entsteht unter anderem durch fehlerhafte Prozesse im Gehirn – genauer gesagt im Hypothalamus, einer der wichtigsten Schaltstellen für die Regulation des Energiegleichgewichts und der Nahrungsaufnahme.

Dort verarbeiten spezialisierte Nervenzellen Signale aus dem Körper und senden diese an nachgeschaltete Nervenzellen in anderen Gehirnregionen. So regulieren sie in fein abgestimmten Prozessen den Zuckerstoffwechsel oder das Sättigungsgefühl.

Genetische Einflüsse und Umwelteinflüsse

Da an diesen Vorgängen unzählige Zellen, Rezeptoren und Botenstoffe beteiligt sind, gibt es auch unendlich viele Möglichkeiten für Fehler. Wenn sich etwa gewisse Nervenverbindungen nicht richtig ausbilden oder bestimmte Rezeptoren defekt sind, führt das zu Adipositas.

Solche Fehler können entweder einen genetischen, also angeborenen Ursprung haben oder einen erworbenen, also durch die Umwelt und die Lebensumstände verursachten. Dabei ist wichtig, dass sich auch genetische Ausprägungen durch Umwelteinflüsse verändern können.

Prozesse im Gehirn

Prozesse im Gehirn beeinflussen das Essverhalten sehr stark. Das zeigen Versuche mit Mäusen anschaulich. Bestimmte Nervenzellen im Mäusegehirn lassen sich genetisch so verändern, dass man sie mit Laserlicht aktivieren kann.

Wenn dann der Laser eingeschaltet wird, frisst die Maus. Wenn er ausgeschaltet wird, hört sie auf. Wenn er wieder an ist, frisst sie. Diesem Befehl aus dem Gehirn kann sich der Organismus nicht entziehen.

Vorurteile sind schädlich

Ähnlich ist es bei uns Menschen: Wann und was wir essen «wollen», wird von diesen Prozessen im Gehirn gesteuert, auf die wir nur sehr bedingt Einfluss haben. Auch darum sind Vorurteile gegenüber adipösen Menschen, insbesondere von Gesundheitsfachpersonen, nicht zielführend und sogar extrem schädlich.

Denn die Stigmatisierung von Patienten mit Adipositas ist nicht nur Folge, sondern auch eine wichtige Ursache der Gewichtszunahme. Die wiederholte Abwertung von aussen mündet in Selbstabwertung, was wiederum emotionales Essverhalten fordert und dazu führen kann, dass sich Betroffene sozial isolieren. Darum ist es wichtig, dass wir umdenken und die biologischen Grundlagen dieser Erkrankung anerkennen.

Genetisch bedingt

Vererbte Faktoren spielen sicher eine grosse Rolle. Wir kennen einige wenige Gene, die, wenn sie bestimmte Mutationen enthalten, zu einer Adipositas führen.

Daneben gibt es unzählige weitere genetische Einflüsse, die noch völlig unbekannt oder erst ansatzweise beschrieben sind. Auch sogenannte epigenetische Faktoren sind entscheidend.

Auf diese Weise bestimmt etwa die Ernährung von Müttern während der Schwangerschaft und Stillzeit das spätere Essverhalten des Kindes wesentlich mit.

Behandlung von Adipositas

Wir unterstützen die Patientinnen und Patienten dabei, ihren Lebensstil zu ändern, sodass ein Gewichtsverlust möglich wird. Teil der Therapie ist immer eine Ernährungsberatung und ein individueller Trainingsplan.

Bei depressiven Patienten oder solchen mit emotionalem Essverhalten kann ein Coaching durch unsere Kollegen in der Psychosomatik sinnvoll sein. Wir behandeln die Patientinnen und Patienten nicht, um sie äusserlich zu verändern. Es geht einzig darum, Risikofaktoren zu minimieren und Folgeerkrankungen zu verhindern.

Bei Betroffenen, die angeben, ohnehin schon sehr wenig zu essen, hilft häufig eine Messung des Energie-Grundumsatzes. Denn viele Adipositas-Patienten und -Patientinnen haben einen extrem tiefen Grundumsatz von kaum über 1000 Kilokalorien pro Tag.

Der Grundumsatz lässt sich nicht ändern

Durch die Messung wird offensichtlich, warum das Abnehmen für sie so schwierig ist. Dieser Grundumsatz lässt sich zwar nicht ändern, aber man kann mit körperlicher Aktivität zusätzliche Kalorien verbrauchen.

Dazu bieten wir eine Palette verschiedener Bewegungsarten an, von Walken über Schwimmen bis zu Trampolinspringen und Klettern. Es hilft, dass die Betroffenen in Gruppen mit anderen Adipositas-Patienten trainieren können und nicht im Fitnessstudio neben schlanken, trainierten Leuten.

Wichtig bei alledem ist: Wir behandeln die Patientinnen und Patienten nicht, um sie äusserlich zu verändern. Es geht einzig darum, Risikofaktoren zu minimieren und Folgeerkrankungen zu verhindern.

Medikamente oder chirurgische Massnahmen

Massnahmen wie Medikamente oder chirurgische Massnahmen wie ein Magenbypass können die Änderung des Lebensstils unterstützen. Wir verschreiben häufig ein Medikament namens Saxenda®, das einem körpereigenen Hormon nachempfunden ist und das Sättigungsgefühl erhöht. Nützlich ist es vor allem für Patienten, die fast andauernd ein Hungergefühl verspüren oder mit emotionalem Essverhalten oder Binge-Eating kämpfen, also exzessivem, übermässigem Essen.

Viele können damit zum ersten Mal entspannt abnehmen, ohne dass ihre Gedanken stets um das nächste Essen kreisen. Chirurgische Massnahmen sind vor allem bei Patienten sinnvoll, die schon viele Begleiterkrankungen haben, etwa Bluthochdruck, Schlafapnoe, Typ-2-Diabetes.

Wichtig ist, sie zuvor gut auf die Operation und ihr Leben danach vorzubereiten und sie auch nach dem Eingriff engmaschig zu begleiten.

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