Der Urner Industriekonzern Dätwyler zeigt sich für den Geschäftsverlauf im kommenden Jahr zuversichtlich. Die global angespannte Situation in der Lieferkette macht zwar dem Unternehmen zu schaffen, wie CEO Dirk Lambrecht im Interview mit der Nachrichtenagentur AWP erklärte.
Dätwyler
Dätwyler-CEO Dirk Lambrecht. - Keystone
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Er zeigt sich diesbezüglich aber relativ entspannt, da der Konzert auf verschiedene Lieferanten zurückgreifen könne. Allerdings geht er davon aus, dass sich die schwierige Situation noch bis ins Jahr 2022 hinziehen wird. Die Ziele für das laufende Jahr und die vor kurzem neu definierten Mittelfristziele sieht er nicht in Gefahr.

AWP: Dätwyler hat sich Ende 2019 entschieden, das Dasein als Mischkonzern aufzugeben und sich auf das Dichtungsgeschäft zu fokussieren. Ist diese Transformationsphase mit dem kürzlich vollzogenen Verkauf des Onlinedistributoren Reichelt nun abgeschlossen?

Dirk Lambrecht: Ja, wir haben unser strategisches Ziel der Neuausrichtung auf den Bereich systemkritische Elastomer-Komponenten für wachstumsstarke Märkte erreicht. Wir wollen nun unsere Position in diesen Märkten weiter ausbauen.

AWP: Bevor wir über die konkrete Zukunft des Unternehmens sprechen: Das drängendste Problem in praktisch allen Industriebranchen ist die Knappheit an Vorprodukten und die Produktionsengpässe. Wo ist Dätwyler davon am meisten betroffen und wie stark?

DL: Die Verknappung von Materialien und die eingeschränkte Logistikkette ist eine Herausforderung für alle. Die Lieferketten sind noch immer sehr instabil. Die Situation erfordert weiterhin eine hohe Wachsamkeit, wir haben sie bisher aber gut gemeistert.

AWP: Wie breit abgestützt ist die Zulieferkette von Dätwyler? Sind Sie flexibel beim Einkauf?

DL: Grundsätzlich verfügen wir für die benötigten Produkte wo immer möglich über mindestens zwei Lieferanten. Einerseits um auf Situationen wie jetzt vorbereitet zu sein und andererseits um auch beim Preis das Optimum zu erreichen.

AWP: Also verzeichnete Dätwyler keine Umsatzeinbussen wegen Lieferverzögerungen.

DL: Nein.

AWP: Die Verfügbarkeit der Rohstoffe ist das eine, die steigenden Preise das andere. Wie gut kann Dätwyler die höheren Preise an die Kunden weitergeben?

DL: Die steigenden Preise für die Rohstoffe und die Logistikkosten belasten uns. Je nach Markt kommt es bei der Weitergabe der höheren Preise zu zeitlichen Verzögerungen.

AWP: Das drückt auf die Marge.

DL: Auf Quartalsbasis gibt es einen Einfluss, aber auf das ganze Jahr gesehen, fällt das kaum ins Gewicht.

AWP: Sehen Sie noch keine Entspannung der Lage?

DL: Wir gehen davon aus, dass der Höhepunkt nun erreicht ist und eine langsame Erholung einsetzt. Das dürfte sich aber noch bis ins nächste Jahr hineinziehen. Viele Kunden agieren derzeit sehr kurzfristig.

AWP: Kommen wir zu Ihren Zielen. Das «neue» und schlankere Unternehmen Dätwyler soll im verbliebenen Geschäft im laufenden Jahr einen Umsatz von mindestens 960 Millionen Franken bei einer operativen Gewinnmarge von mindestens 17 Prozent erreichen.

DL: Diese Vorhersage gilt unverändert.

AWP: Als weiteres Ziel wurde ab dem kommenden Jahr ein jährliches organisches Wachstum von 6 bis 10 Prozent genannt, womit die Milliardengrenze beim Umsatz trotz der Devestitionen bereits wieder überschritten werden sollte. Ist auch dieses Ziel durch die Materialknappheit nicht gefährdet?

DL: Nein. Die Beschaffungssituation bleibt zwar herausfordernd. Wir haben aber kein Anzeichen dafür, dass wir deswegen unsere Ziele verfehlen könnten.

AWP: Wäre ein möglicher Konjunktureinbruch ein Spielverderber?

DL: Das sehe ich auch nicht. Rund zwei Drittel und damit den grösseren Teil unseres Umsatzes erwirtschaften wir in den relativ konjunkturunabhängigen Sektoren Healthcare sowie Food & Beverage. Diese dürften sich weiterhin positiv entwickeln.

AWP: Dätwyler investiert allein im laufenden Jahr 120 bis 130 Millionen Franken in den Ausbau verschiedener Werke in aller Welt, im kommenden Jahr ähnlich viel. Ist die Verfügbarkeit von Fachkräften ein Hemmschuh für den Ausbau der Kapazitäten?

DL: Der Markt für Fachkräfte ist schwieriger geworden, klar. Uns kommt aber unsere Unternehmens- und Führungskultur entgegen. Viele junge Leute, die einen Beitrag zu einer lebenswerten Zukunft leisten wollen, fühlen sich von unseren Werten angesprochen. Wir müssen um Fachkräfte kämpfen, die Ausbaupläne sind deswegen aber nicht gefährdet.

AWP: Wenden wir uns den beiden Divisionen zu. Für die Sparte Healthcare Solutions gilt für die Strategieperiode 2022 bis 2024 die Prognose eines durchschnittlichen Wachstums von 8 bis 12 Prozent, bei einer EBIT-Marge von 22 bis 25 Prozent. Diese Vorgaben scheinen sehr sportlich.

DL: Primär nehme ich die Zuversicht von den Aussagen unserer Kunden. Wir kriegen auch von den neuen Kunden, die wir noch akquirieren wollen, ein positives Feedback auf unsere Unternehmensstrategie oder auch auf unsere geplanten neuen Produkte.

AWP: Und die Marge?

DL: Diese wird durch die wachsende Kapazität an den verschiedenen Standorten vom höheren Umsatz profitieren. Der Wandel des Portfolios hin zu höherwertigen Produkten kommt dann noch hinzu.

AWP: Der Bereich Healthcare hat im vergangenen und im laufenden Jahr wegen der Corona-Pandemie von den hohen Bestellungen für die Verschlüsse von Impfdosen Rückenwind erhalten. Geht die Notwendigkeit für Impfungen zurück, müsste hier ein Einbruch erfolgen, korrekt?

DL: Wir sind langfristig ausgerichtet, Covid spielt hier eher eine untergeordnete Rolle. Wir ziehen zwar Investitionen vor, um die erhöhte Nachfrage im Zusammenhang mit Covid zu decken. Unsere Anlagen sind aber für all unsere Produktlinien nutzbar. Darüber hinaus dürfte Covid leider nicht die letzte Pandemie sein, die wir erleben.

AWP: Als Versprechen für die Zukunft gelten bei Dätwyler die drei Produktionsfabriken unter dem Gütesiegel «Firstline». Können Sie das etwas genauer erklären?

DL: «Firstline» ist eine Reinraumumgebung, die einen möglichst geringen Kontakt der Produkte mit unerwünschten Partikeln in der Luft zulässt. Durch eine möglichst hohe Automatisierung reduzieren wir den Kontakt zwischen Produkten und Mitarbeitenden auf ein Minimum.

AWP: Wie ist die Auslastung dieser Fabriken?

DL: Die Fabriken sind gut ausgelastet. Die Hauptfabrik ist in Belgien, die beiden Standorte in den USA und in Indien sind noch am Hochfahren, also noch nicht bei der maximal möglichen Kapazität angelangt. Die nun nach und nach hinzu kommenden Kapazitäten werden zum künftigen Wachstum von Dätwyler beitragen.

AWP: Wir stellt sich die Konkurrenzsituation in diesem Bereich dar?

DL: In der Qualität, die wir bieten, gibt es weniger als eine Handvoll Mitbewerber.

AWP: Ein neues Produkt, das Dätwyler demnächst lancieren will, läuft unter dem Namen «SoftPulse». Das sind Trockenelektroden für die Messung der Aktivitäten von Gehirn, Herz und Muskeln in tragbaren Geräten, wie man sie beispielsweise für ein Elektroenzephalogramm (EEG) benötigt. Welches Potential sehen Sie dafür?

DL: Das Potential erachte ich als erheblich, nicht nur im Gesundheitsbereich sondern auch etwa im Bereich Lifestyle oder mit Spielen. Wir dringen hier aber in neue Märkte vor und müssen uns da zuerst einleben. Für eine Schätzung, wann sich das in unseren Zahlen niederschlagen wird, ist es noch zu früh.

AWP: Innerhalb der zweiten Sparte Industrial Solutions will Dätwyler im Zielmarkt Mobilität unter anderem mit Komponenten für Batterien, elektrische Bremsen oder für den Innenraum in elektrischen Fahrzeugen wachsen. Ist die Konkurrenz hier nicht sehr gross?

DL: Die Automobilindustrie befindet sich in einer Transformationsphase. Wir können auf unserer Materialkompetenz aufbauen. Und wir sehen genügend Marktpotential im Bereich Mobility, etwa auch in anderen Fahrzeugen als Autos wie Bahnen, Busse oder Drohnen. Ich bin für diesen Markt recht zuversichtlich.

AWP: Können Sie noch ein Wort dazu sagen, wie es in den beiden anderen Zielmärkten Allgemeine Industrien sowie Food & Beverage läuft?

DL: Beide Märkte sind gut auf Kurs. Bei Food & Beverage etwa haben wir nebst Nespresso mit «Capsul'in» einen neuen Kunden gewonnen, der Kaffeekapseln an verschiedene Kaffeeproduzenten verkauft.

AWP: Was sind Ihre Erwartungen für das kommende Jahr 2022?

DL: Ich bin zuversichtlich für das kommende Jahr, unter anderem weil wir hauptsächlich in wenig schwankungsanfälligen Sektoren aktiv sind. Ich erwarte auch, dass wir unsere selbstgesteckten Ziele erreichen werden, nicht nur die finanziellen.

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