Wie die Gemeinde Allschwil mitteilt, hat sie unterhalb der Chemiemülldeponie Roemisloch in Neuwiller noch mehr Benzidin nachgewiesen als bisher.
Die Gemeindeverwaltung und das Gemeindezentrum an der Baslerstrasse 111 in Allschwil.
Die Gemeindeverwaltung und das Gemeindezentrum an der Baslerstrasse 111 in Allschwil. - Nau.ch / Werner Rolli
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Gemäss den Angaben der Gemeinde Allschwil waren es im März 2021 in der Probestelle Tümpel 58 Nanogramm Benzidin pro Liter Wasser. Im April 2021 dann 74 Nanogramm pro Liter.

2022 waren es im Januar wiederum 98 Nanogramm pro Liter und am 18. Mai 2022 hat die Gemeinde Allschwil gemäss einer Miteilung gar eine noch höhere Konzentration des hochgradig krebserregenden Benzidins nachgewiesen:

119 Nanogramm pro Liter Wasser kämen im Roemislochbach unterhalb der angeblich 2011 von BASF, Novartis und Syngenta (ChemChina) sanierten Chemiemülldeponie Roemisloch zum Vorschein, so die Gemeinde.

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Die Gemeinde ist überzeugt, dass das gemessene Gift im Dorfbach aus der sanierten Deponie austritt. - Gemeinde Allschwil

In Frankreich gibt es keinen Grenzwert für Benzidin, aber Orientierungswerte des staatlichen Umweltinstituts Ineris. Das Limit von Ineris für befischte Gewässer ist 290'244 Mal und das für Trinkwasser um 3967 Mal überschritten, so die Gemeinde weiter.

Allschwil hält weiter fest: Selbst der Vergleichswert von 100 Nanogramm Benzidin pro Liter, den BASF, Novartis und Syngenta an ihrer Medienkonferenz vom 1. Februar 2002 als den Richtigen erachteten, sei also um das 1,2-Fache überschritten.

«Zum Vergleich: Der Schweizer Grenzwert von 1,5 Nanogramm Benzidin pro Liter ist 79 Mal übertroffen. Dies zeigt: Das Roemisloch ist ein Sanierungsfall», sagt die Gemeinde Allschwil.

Tetrachlorbenzidin schon 2006 nachgewiesen

Die Gemeinde suggeriert zudem Versäumnisse seitens der drei Konzerne. Diese hätten vom Benzidin-Risiko wissen können, so Allschwil.

«Im April 2006 wiesen BASF, Novartis und Syngenta in der Grundwassermessstelle Proe7 Tetrachlorbenzidin in einem Konzentrationsbereich von 2000 bis 8000 Nanogramm pro Liter mit einer Übersichtsanalyse (GC/MS-Screening) nach».

Die Unternehmen wären dem Fund aber nicht vertieft nachgegangen, so Allschwil: «Sie schreiben dazu nur: Tetrachlorbenzidin habe mittels einer Einzelstoffanalyse nicht bestätigt werden können. Damit war für BASF, Novartis und Syngenta das Thema Benzidin offensichtlich erledigt».

Sie hätten danach weder Tetrachlorbenzidin noch Benzidin oder andere Benzidin-Verbindungen in ihr Analyseprogramm aufgenommen; auch in der Risikoanalyse von Mai 2008 sucht man den Namen Benzidin oder Tetrachlorbenzidin vergebens, sagt die Gemeinde Allschwil.

Allschwil sagt: Weitere Hinweise auf Benzidin ignoriert

«Dabei gab es noch weitere Hinweise auf das gefährliche Benzidin, wie ein Blick in die «Stoffliste Roemisloch» zeigt», schreibt die Gemeinde. Die J. R. Geigy AG liess diese Liste des angelieferten Chemieabfalls 1960 erstellen.

«Gemäss dieser Liste kippte die Basler Chemiefirma von 1957 bis 1960 mindestens 4800 Kilogramm Abfall aus der Hydrazobenzol-Produktion ins Roemisloch», hält Allschwil fest.

Dieser Chemiemüll enthielt mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit auch Hydrazobenzol. Diese Substanz könne mit dem gefährlichen Benzidin verunreinigt sein, gibt die Gemeinde zu bedenken.

Roemisloch
Drohnenaufnahme der ehemaligen Deponie Roemisloch: Klar erkennbar ist die Trennlinie zwischen dem alten Baumbestand und der Aufforstungsfläche (Standort der ehemaligen Deponie) (Aufnahme: Januar 2022). - GI DRB

Also besteht laut Allschwil weiterhin Gefahr, denn: «Hydrazobenzol zerfällt zudem unter anderem zu Benzidin, wenn es mit Wasser in Kontakt kommt – wie zum Beispiel noch heute in der vor zwölf Jahren angeblich totalsanierten Deponie Roemisloch.»

Auch diesen Hinweis auf Benzidin scheinen BASF, Novartis und Syngenta nicht ernst genommen zu haben, gibt die Gemeinde zu verstehen:

«Diese gefährliche Substanz wurde erst zum Thema, nachdem die Gemeinde Allschwil 2021 Benzidin im Roemislochbach erstmals gesucht und sogleich weit über den Limiten und Grenzwerten nachgewiesen hat.»

Gemeinde: «Falsche Behauptungen von Novartis & Co.»

BASF, Novartis und Syngenta postulierten in ihrer Medienmitteilung vom 3. Februar 2022 zudem, dass «die vorhandenen Konzentrationen kleiner werden und keine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen».

Zusätzliche Massnahmen, wie sie die Gemeinde Allschwil für die ehemalige Deponie fordert, seien «deshalb nicht angezeigt».

Diese Aussage trifft laut der Gemeinde nicht zu: Die gemessenen Konzentrationen nehmen teils zu, wie die Benzidin-Analyseergebnisse der Gemeinde Allschwil seit März 2021 zeigen.

Auch die Darstellung der Industrie, es bestehe keine Gefahr für Mensch und Umwelt, lasse sich laut der Gemeinde Allschwil bei einer 79-fachen Überschreitung des Schweizer Grenzwerts für Benzidin nicht mehr aufrechterhalten.

Dies gemäss Allschwil selbst, wenn das Benzidin im Mülibach bisher nicht nachgewiesen worden sei und der Schweizer Grenzwert in Frankreich nur als Orientierungshilfe dienen könne.

Allschwil fordert: Endlich wie versprochen sauber aufräumen

Die Gemeinde Allschwil hat das Amt für Umweltschutz und Energie AUE BL über den neuerlichen Benzidinfund informiert.

Vereinbart wurde nun, dass sich das AUE und die Gemeinde nach den Sommerferien treffen, um die Analyse- und Rechercheergebnisse im Detail zu besprechen.

Die Gemeinde Allschwil fordert insbesondere vom Pharmakonzern Novartis nun als ersten Schritt, das stark kontaminierte Wasser unterhalb der Deponie Roemisloch aufzufangen und zu reinigen.

«Danach muss die Schadstoffquelle eruiert und anschliessend vollständig dekontaminiert werden», lasst Allschwil verlauten.

Die Gemeinde erwarte, dass die drei Firmen das vor zwölf Jahren beim Roemisloch gemachte Versprechen einhalten und nun endlich allen Chemiemüll inklusive des kontaminierten Erdreichs vollständig beseitigen.

GI DRB: Unbegründete Forderungen der Gemeinde Allschwil

Groupement d'intérêts pour la sécurité des décharges de la Région bâloise, GI DRB sieht aufgrund der neusten Veröffentlichung der Gemeinde Allschwil keinen Handlungsbedarf und weist die Vorwürfe der Gemeinde von sich.

Aufgrund von Forderungen der Gemeinde Allschwil habe die GI DRB im Oktober 2021 und Januar 2022 zusätzliche Messungen im Umfeld der ehemaligen Deponie Roemisloch vornehmen sowie den damaligen Bericht der Gemeinde analysieren lassen.

«Externe Fachexperten sind zum Schluss gekommen, dass von der ehemaligen, durch Aushub vollständig sanierten Deponie Roemisloch keine Gefahr für Mensch und Umwelt ausgeht. An dieser Einschätzung ändern auch die jüngsten Messungen der Gemeinde vom 18. Mai 2022 nichts», so die GI DRB.

GI DRB: Allschwil liefert keine neuen oder überraschenden Erkenntnisse

Die GI DRB habe die Medien am 3. Februar 2022 ausführlich zur Situation rund um die ehemalige Deponie Roemisloch informiert. Basis dafür bildete ein Gutachten des international anerkannten Unternehmens ERM.

Die neuste Veröffentlichung der Gemeinde Allschwil liefere in der Sache keine neuen oder überraschende Erkenntnisse. Sie ändere gemäss GI DRB an der Einschätzung der Sanierung sowie der Restbelastung nichts:

«Von der ehemaligen Deponie Roemisloch geht keine Gefahr für Mensch und Umwelt aus. Diesen Standpunkt bestätigen auch die Untersuchungen des Amtes für Umwelt und Energie des Kantons Basel-Landschaft (AUE BL), das das Gewässer auf Schweizer Gebiet (Mülibach) überwacht».

Die für die Sanierung zuständigen französischen Behörden hätten ebenfalls bestätigt, dass sämtliche Auflagen erfüllt seien.

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