Schweizer Sonderweg bei Börsen-Publikationspflicht

Keystone-SDA
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Zürich,

Beim Aktienhandel sind Informationen alles. Börsenkotierte Unternehmen müssen daher wichtige Dinge wie neue Gewinnprognosen oder eine geplante Übernahme für jeden gleichermassen zugänglich machen. Die Schweiz hat im Vergleich zu anderen Ländern in gewisser Hinsicht eigenwillige Vorgaben zur Publikationspflicht.

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Der SMI notiert tiefer. (Symbolbild) - keystone

Alles, was den Kurs einer Aktie über die üblichen Schwankungen hinaus verändern könnte, muss von kotierten Unternehmen «sofort und klar» kommuniziert werden.

Ad-hoc-Publizitätspflicht nennt sich das. So sieht es das Regulierungsorgan der Schweizer Börse vor, die so genannte SIX Exchange Regulation (SER). Es soll sichergestellt werden, dass alle Marktteilnehmer denselben Informationsstand haben. Bei Verstössen ist eine Busse bis zu einer Million Franken möglich.

2019 hat das Clariant zu spüren bekommen. 750'000 Franken musste der Chemiekonzern blechen, weil das Unternehmen das Schweizer Fernsehen einige Tage vor der offiziellen Bekanntgabe in die geplante Fusion mit einem US-Konkurrenten einweihte. Die Börse sprach damals von einem fahrlässigen und schwerwiegenden Verstoss.

Clariant hätte gleichzeitig auch alle anderen Marktteilnehmer informieren müssen. Ad-hoc-Mitteilungen müssen jeweils nicht nur der SIX Exchange Regulation über eine bestimmte Meldeplattform gemeldet werden, sondern auch an mindestens zwei elektronische Finanznachrichtenagenturen und zwei überregionale Schweizer Tageszeitungen gesendet werden. Zudem muss das Unternehmen die Meldung auf seiner Internetseite aufschalten.

Dabei spielt auch keine Rolle, ob ein Journalist angefragt hat und das Unternehmen aufgrund dieser Kontaktaufnahme Auskunft erteilt. In einem konkreten Fall hatte eine Gesellschaft entschieden, in der Schweiz 50 von etwa 500 Stellen abzubauen. Später erschien dazu ein Artikel in der Zeitung. Aber erst am darauffolgenden Tag veröffentlichte das Unternehmen die entsprechende Medienmitteilung. Es handelte sich um eine «selektive Information» und das Unternehmen erhielt einen Verweis und musste die Verfahrenskosten zahlen.

Neben Fusionsplänen oder Restrukturierungen können auch wesentliche Änderungen in der Aktionärsstruktur oder Kapitalanpassungen kursrelevant sein. Es gibt keine abschliessende Liste. Die Emittenten müssten sich daher rechtzeitig die Frage stellen, ob eine geplante oder auch eine überraschend eingetretene Veränderung zu einer deutlichen Kursbewegung an der Börse führen könnte, heisst es vom Regulierungsorgan der Börse.

Seit kurzem ist dieser Ermessensspielraum noch grösser geworden. Per Juli 2021 gibt es so gut wie keine «per-se»-Tatbestände für kursrelevante Tatsachen mehr. Personelle Wechsel im Verwaltungsrat und im Topmanagement etwa sind nun nicht mehr automatisch ad-hoc-relevant. Einen besonderen Stellenwert haben aber die Finanzzahlen eines Unternehmens. Die Publikation von Geschäfts- und Zwischenberichten bilden die Ausnahme und müssen immer «ad-hoc-konform» kommuniziert werden.

Neuerdings müssen die Unternehmen eine Ad-hoc-Mitteilung zudem entsprechend kennzeichnen. Bei kursrelevanten Informationen muss oben in der Medienmitteilung vermerkt sein: «Ad-hoc-Mitteilung gemäss Art. 53 KR». KR steht für Kotierungsreglement. Es ist aber nicht erlaubt, möglichst viele Mitteilungen so zu kennzeichnen um sicherzugehen. Ein Verstoss gegen die Regularien liege auch dann vor, wenn eine nicht kursrelevante Information aus Vorsicht fälschlicherweise als solche bezeichnet wurde, sagt Mariel Hoch von der Anwaltskanzlei Bär & Karrer.

Verhindert werden sollen so zwar verkappte Marketing-Mitteilungen und Werbung unter dem Deckmantel der Ad-hoc-News. Die Änderung wird aber dennoch skeptisch gesehen. «Leider wurden auch überschiessende Forderungen, die nur Aufwand/Bürokratie, aber keinen verbesserten Anlegerschutz bringen, in die Reform aufgenommen, namentlich die Kennzeichnungspflicht», heisst es etwa vom Dachverband Economiesuisse.

Kritisch äusserten sich bereits in der Vernehmlassung Bär & Karrer sowie Swissholdings, der Verband der Industrie- und Dienstleistungskonzerne, deren Mitglieder zusammen rund 70 Prozent der Börsenkapitalisierung an der SIX ausmachen. Der Übergang zwischen der vorgeschriebenen Ad-hoc-Publizität und der darüber hinausgehenden freiwilligen Publizität sei fliessend, hiess es damals von Bär & Karrer. «Eine Kennzeichnungspflicht kann diesen Informationsfluss stören und ist daher kontraproduktiv.»

Und sowieso: Eine abschliessende Beurteilung, ob eine Tatsache letztlich kursrelevant ist oder nicht, bleibe ohnehin den Marktteilnehmern überlassen. Ähnlich sieht es Swissholdings: Die Kursrelevanz stehe letztlich nicht im Einflussbereich des Emittenten, sondern in der Wahrnehmung und Reaktion des Marktes. Die Kennzeichnung könnte diese Wahrnehmung ja geradezu verfälschen.

In Einzelfällen könne die Kennzeichnungspflicht zu schwierigen Situationen führen, gibt auch Daniel Dedeyan von Walder Wyss, eine Anwaltskanzlei für Wirtschaftsrecht, zu Bedenken. Immerhin sei eine solche Kennzeichnungspflicht aber auch im Ausland Standard.

Was als Altbewährtes aber bleibt, ist eine schweizerische Besonderheit: Eine Ad-hoc-Meldung steht zwar an, «sobald das Unternehmen von der Tatsache in den wesentlichen Punkten Kenntnis hat». Die Veröffentlichung hat hierzulande aber wenn möglich ausserhalb der «handelskritischen» Zeit zu erfolgen: und damit spätestens 90 Minuten vor Handelsbeginn - also vor 7.30 Uhr - oder nach Handelsschluss um 17.40 Uhr.

Und sollte eine Meldung in begründeten «unumgänglichen» Ausnahmefällen einmal in die Handelszeit fallen, muss die SER telefonisch informiert werden und die Mitteilung mindestens 90 Minuten vor Publikation bei der SER eingehen. Gegebenenfalls wird der Handel der betroffenen Aktie vorübergehend eingestellt.

So soll allen Marktteilnehmenden «während der Handelszeit» der gleiche Informationsstand ermöglicht werden. An anderen europäischen Börsen wie zum Beispiel in Deutschland gibt es eine solche Regel nicht: «Unabhängig von etwaigen Börsenhandelszeiten oder Terminen» müssen Insiderinformationen unverzüglich veröffentlicht werden. Dort wird damit argumentiert, dass kursrelevante Informationen allen Marktteilnehmern «möglichst schnell» zur Verfügung stehen sollen. «Dies dient auch der Vermeidung von Insiderhandel», sagt Anja Schuchhardt von der deutschen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).

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