Die Schweiz ist laut einer Studie bei ausländischen Fachkräften deutlich weniger beliebt als auch schon. Wie ernst muss man dieses Resultat nehmen?
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Eine Frau arbeitet in einem Grossraumbüro in Bern. Als Expat verdient man in der Schweiz zwar häufig gut, aber das Sozialleben leidet für viele etwas. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Im Expat-Ranking hat die Schweiz viele Plätze verloren – sie steht auf Platz 34 von 53.
  • Hauptgrund für das schlechte Abschneiden sind Schwierigkeiten im Sozialleben.
  • Fachleute schätzen ein, ob diese Rangierung nun ein Anlass zur Sorge sein sollte.
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Dieses kürzlich veröffentlichte Ranking sieht aus Schweizer Sicht nicht gut aus: Gemäss einer Umfrage unter Expats, also ausländischen Fachkräften, ist die Eidgenossenschaft auf den hinteren Plätzen anzutreffen.

Von 53 bewerteten Staaten erreicht die Schweiz lediglich Rang 34. Zum Vergleich: Vor einem Jahr belegte sie immerhin noch Platz 23. In Sachen Beliebtheit bei Expats ist die Schweiz also regelrecht abgestürzt. Muss man sich hierzulande jetzt Sorgen um Wirtschaft und Gesellschaft machen?

Nau.ch hat bei der Beratungsgesellschaft BDO nachgefragt. Diese bietet unter anderem Beratungen für Expats in der Schweiz an.

Sozialleben als Hauptschwierigkeit für Expats

Myriam Minnig, Leiterin Sozialversicherungen und Vorsorge, relativiert zunächst: «Das Ranking ist als Durchschnittswert sicher interessant, muss jedoch jeweils im Kontext betrachtet werden.» Die Beurteilung könne je nach Arbeitsbereich und Lohnniveau nämlich unterschiedlich ausfallen.

Aus der Sicht von Minnig hat die Schweiz Vor- und Nachteile für Expats. In der Umfrage wird unter anderem das Sozialleben als negativer Faktor genannt. Denn: Man findet hier kaum Freunde.

Minnig bestätigt diesen Punkt: «Was vielen schwerfällt, ist die soziale Integration.»

Myriam Minnig
BDO-Expertin Myriam Minnig. - zVg

Dafür gebe es mehrere Gründe. Beispielsweise sei man in der Deutschschweiz «immer mit der Fremdsprache Schweizerdeutsch konfrontiert». Man erwartet laut der Expertin hierzulande auch meistens eine hohe Integrationsbereitschaft der Zugezogenen.

Letztlich ist auch ein Stück weit die Schweizer Kultur entscheidend, Minnig sagt: «Zurückhaltung ist ein wichtiger gelebter Wert, der es mitunter auch Einheimischen erschwert, Kontakte zu knüpfen.»

Neben dem Sozialleben ist das Preisniveau ebenfalls oft eine Herausforderung, wie Minnig ausführt: «Die Schweiz ist sehr teuer. Ein gutes Leben hier muss man sich leisten können, selbst bei gut bezahlten Jobs

Arbeitgeberverband: «Schweiz kann mit den besten mithalten»

Man darf jedoch die Schweiz auch nicht schlechter darstellen, als sie ist. «Die Lebensqualität in der Schweiz ist nach wie vor extrem hoch», hält Minnig fest. Die Sicherheit, die gute Infrastruktur, die Natur oder die medizinische Versorgung sind zum Beispiel positive Aspekte.

Tatsächlich gibt es in der Umfrage je nach Bereich grosse Unterschiede. So landet die Schweiz bei der Lebensqualität auf Rang 12. Bei der Integration landet sie dagegen nur auf Platz 46.

Aare
Die Schweiz bietet eine hohe Lebensqualität, da ist man sich weitgehend einig.
Expats
Es ist jedoch für Ausländer nicht immer einfach, sich hier zu integrieren.
Laptop
Aus diesem Grund sieht es im Expat-Beliebtheitsranking für die Schweiz nicht sonderlich gut aus.

Ähnlich sieht es auch die Wirtschaft. Beim Schweizerischen Arbeitgeberverband kann man sich zwar nicht zum konkreten Ranking äussern. Mediensprecher Jonas Lehner hält gegenüber Nau.ch aber fest, dass die Schweiz aus Sicht des Verbands nach wie vor attraktiv sei.

Er sagt: «Die Schweiz als Arbeits- und Wohnort hat eine sehr grosse Anziehungskraft und kann mit den besten mithalten.» Das Alpenland verfüge über eines der höchsten Wohlstandniveaus und eine der höchsten Lebensqualitäten der Welt.

Laut Minnig von BDO könnte es sein, dass bei der jüngeren Generation das Sozialleben immer mehr an Bedeutung gewinnt. Wirtschaftliche Faktoren, bei denen die Schweiz nach wie vor viel zu bieten hat, haben möglicherweise an Wichtigkeit verloren. So lassen sich eventuell auch die Rangverluste erklären. «Die Expats wollen vermehrt nicht mehr nur hier arbeiten, sondern auch leben», fasst es Minnig zusammen.

Mischung muss stimmen – nicht nur für Expats

Nun kann man sich die Frage stellen, ob die Schweiz handeln muss. Wenn jetzt plötzlich niemand mehr in der Schweiz arbeiten wollen würde, hätte das für die Wirtschaft schwerwiegende Konsequenzen.

Die hiesige Wirtschaft mit ihren vielen Branchen und Unternehmen sei auf kompetente Arbeitskräfte angewiesen, sagt Lehner vom Arbeitgeberverband. Will heissen: Die Nachfrage nach ausländischen Fachkräften, nach Expats, ist sicherlich vorhanden.

Glaubst du, die Schweizer Wirtschaft ist aktuell gut aufgestellt?

Entscheidend sei, dass «die Mischung zwischen Lohn- und Preisniveau, Steuerbelastung, Regulierungsdichte und Leistungen des Staates» stimme, sagt Lehner. Allerdings gelte das nicht prioritär für Expats, sondern für die gesamte Bevölkerung.

Sorgen macht sich der Arbeitgeberverband nicht: «Die Schweiz hat auch dank ihrer direkten Demokratie sehr gute Voraussetzungen, bezüglich dieser Rahmenbedingungen weiterhin ein gutes Gleichgewicht zu finden.»

Gutes Angebot muss im Fokus stehen – gute Platzierung folgt dann von selbst

Braucht es angesichts der Resultate dennoch Massnahmen? «Natürlich sollte man genauer hinschauen, wenn man in einem Ranking Plätze verliert», so Minnig. Allerdings sollte man sich unabhängig davon fragen, wen man anziehen wolle, und entsprechende Bedingungen schaffen. Dann folge auch eine bessere Platzierung: «Das Ranking soll das Ergebnis sein aus dem, was wir bieten, nicht umgekehrt.»

Dass die Schweiz vor allem bei der sozialen Integration schlecht abgeschnitten habe, sei keine Frage der Politik, sondern der Gesellschaft.

Zürich
Die Schweiz steht wirtschaftlich zweifellos gut da, für Expats zählt jedoch immer mehr auch das Sozialleben. - keystone

Politisch betrachtet ist auch für Minnig wichtig – ähnlich wie für den Arbeitgeberverband – eine gute Balance zu finden. Es brauche «gute Rahmenbedingungen für Zuziehende, ohne der eigenen Bevölkerung den Eindruck zu vermitteln, sie seien weniger gefragt».

Das Expat-Beliebtheitsranking kann somit sicherlich einen interessanten Einblick geben. Sich deswegen nun Sorgen um die Schweizer Wirtschaft zu machen, wäre aus Sicht der Experten allerdings falsch. Denn die Eidgenossenschaft hat nach wie vor viel zu bieten und auch gute politische Voraussetzungen, um allfällige Probleme anzugehen.

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