Keine Steuersenkung – «Zürich droht den Anschluss zu verlieren»
Der Kanton Zürich sagt Nein zu tieferen Gewinnsteuern für Unternehmen. Die Verlierer der Abstimmung warnen vor den Folgen. Experten ordnen ein.

Das Wichtigste in Kürze
- Die Unternehmen des Kantons Zürich erhalten keine Steuersenkung.
- Befürworter der Erleichterung befürchten nun eine Abwanderungswelle.
- Ökonomen schätzen ein, was das Nein für den Standort Zürich bedeutet.
Keine tieferen Gewinnsteuern für Zürcher Unternehmen: Die Bevölkerung des Kantons hat am Sonntag eine Senkung von sieben auf sechs Prozent abgelehnt. 54,5 Prozent sprachen sich gegen die entsprechende Vorlage aus.
So setzte sich in Zürich die linke Seite durch. Auf der bürgerlichen Seite ist man entsprechend bedient.
Bürgerliche befürchten Abwanderungen aus «Steuerhölle»
«Damit bleibt der Kanton eine Steuerhölle», sagt beispielsweise FDPler Claudio Zihlmann gegenüber SRF. Der Fraktionspräsident im Kantonsparlament befürchtet nun Abwanderungen von im Kanton ansässigen Unternehmen.
Handelskammer-Chef Raphaël Tschanz äusserte eine ähnliche Befürchtung. «Es werden weiterhin mehr Unternehmen den Kanton verlassen, als zuziehen», sagt er in einem «NZZ»-Interview.
Auffällig ist: Zürich hat im Vergleich zu anderen Kantonen sehr hohe Steuern. Vielerorts werden die Steuern gesenkt – die Zürcher machen allerdings nicht mit. Verliert der bevölkerungsreichste Kanton also den Anschluss?
Zürich könnte Anschluss verlieren – schädlich für die ganze Schweiz
Reiner Eichenberger, Wirtschaftsprofessor an der Universität Freiburg, bejaht gegenüber Nau.ch: «Zürich droht tatsächlich den Anschluss zu verlieren.»

Dass andere Kantone deswegen profitieren, glaubt Eichenberger aber nicht. Im Gegenteil: Verliert Zürich den Anschluss, schadet dies der ganzen Schweiz.
Der Ökonom führt aus: «Wir alle profitieren von den starken und reichen Kantonen, etwa von der aufstrebenden Innerschweiz. Und wir leiden unter denen, die ihre Hausaufgaben nicht machen und stark auf Kosten der anderen leben.» Dies beispielsweise über den Finanzausgleich oder über Bundessubventionen.
Standort Zürich muss sein Angebot finanzieren können
Volker Grossmann, ebenfalls Wirtschaftsprofessor an der Universität Freiburg, hebt derweil die anderen wichtigen Standortfaktoren Zürichs hervor. «Zürich profitiert in hohem Masse von den Vorteilen einer Agglomeration. Unternehmen schätzen insbesondere die exzellente Verkehrsinfrastruktur und den Zugang zu hochqualifizierten Arbeitskräften», führt der Ökonom aus.

Zürich biete zudem eine hohe Lebensqualität. Dazu gehören die Gesundheitsversorgung, die Bildungseinrichtungen oder das vielfältige kulturelle Angebot.
Grossmann sagt: «Es ist gerade für den Unternehmensstandort Zürich wichtig, das alles finanzieren zu können.» Ein Ja zur Steuersenkung wäre deshalb aus seiner Sicht auf Kosten der Lebensqualität der Zürcher gegangen. Letztlich wäre das tatsächlich eine bessere Nachricht für die anderen Kantone gewesen.
Durch die Steuersenkung hätte Zürich also lediglich Steueraufkommen verloren, ist Grossmann überzeugt.
Eichenberger kritisiert Debatte um Steuersenkung
Reiner Eichenberger kritisiert derweil auch die Befürworter der Zürcher Steuersenkung. «Die Qualität der öffentlichen Diskussion war schrecklich», hält er fest. Von beiden Seiten seien Plattitüden, Halbwahrheiten und Falschaussagen verbreitet worden.
Eine solche Halbwahrheit ist laut dem Wirtschaftsprofessor die angesprochene Befürchtung, dass Unternehmen jetzt wegziehen. «Unternehmen reagieren auf überhöhte Gewinnsteuern weniger mit Abwanderung als durch Gewinnverlagerung», so Eichenberger.
Heisst: Die Firmen wandern nicht ganz ab, lassen aber die Gewinne im Rahmen ihres Spielraums anderswo anfallen. «Das ist für die Firmen viel einfacher und billiger als abzuwandern – und kostet deshalb den Staat noch mehr.»
Im schlimmsten Fall könne das Argument der drohenden Abwanderung sogar kontraproduktiv sein. Eichenberger erklärt: «Angesichts des viel zu hohen Bevölkerungswachstums hoffen viele Wähler, dass dieses sinkt, wenn die Firmen weniger stark nach Zürich drängen.»
Für Grossmann ist die Angst vor einer Abwanderungswelle ebenfalls nicht sehr überzeugend. Eine Steuersenkung hätte laut seiner Erwartung eher negative Auswirkungen gehabt. Entsprechend sieht er das Abwanderungsargument «als Lobbyismus zur Vorbereitung für zukünftige Steuersenkungsinitiativen». Die Aussage entspreche nicht der Studienlage.
Eichenberger: Zuwanderung als Hindernis für Attraktivität
Die Frage, wie Zürich attraktiv bleiben kann, bleibt natürlich trotzdem auf dem Tisch. Entscheidend seien dabei nicht nur die Unternehmenssteuern, sagt Eichenberger. Stattdessen müsse man auf das Verhältnis der Steuerlast zu den öffentlichen Leistungen achten.
Das heisst: «Folglich muss der Kanton die Steuern für alle senken – für die Bürger und die Firmen. Und er muss bessere Leistungen bieten, sprich er muss dringend effizienter werden und aus den vorhandenen Mitteln mehr machen.»

Ein mögliches Hindernis, was das angeht, ist laut Eichenberger die Zuwanderung. «Wenn wir die Politik verbessern und die Lebensqualität steigern, nimmt der Zuwanderungsdruck zu.» Das wiederum mache die Vorteile der guten Politik gleich wieder zunichte.
Damit es wieder mehr Anreize gibt, eine hohe Standortattraktivität zu bieten, brauche es deshalb bessere Zuwanderungsregelungen.
Grossmann: Weiterhin in die Lebensqualität investieren
Einen etwas anderen Fokus legt Volker Grossmann. Laut ihm müsse Zürich weiterhin «in die Infrastruktur und allgemein in die Lebensqualität der Einwohner investieren». Beispielsweise müsse man auch Bautätigkeiten fördern, um den gestiegenen Wohnkosten zu begegnen.
Zudem wäre aus der Sicht Grossmanns eine weitere Harmonisierung der schweizweiten Steuersätze sinnvoll.
Der kantonale Steuerwettbewerb habe in der Schweiz zu einer ständigen Senkung der Steuersätze geführt. Beispielsweise bei den Gewinnsteuern oder bei den Erbschafts- und Schenkungssteuern. «Die Steuerlast wird damit zunehmend auf die Arbeitnehmer und Konsumenten abgewälzt. Mit dem Risiko, dass einige nützliche öffentliche Leistungen nicht mehr finanziert werden», so Grossmann.