Die Konjunkturpläne der neuen britischen Regierung senden Schockwellen durch die Wirtschaft. Das Pfund ist in den Keller gestürzt, die Zinsen sind in die Höhe geschossen. Nun erreicht die Krise eine neue Eskalationsstufe.
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Der Sitz der britischen Notenbank Bank of England in London. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Die Bank of England hat Notfallmassnahmen ergriffen, um die britische Wirtschaft vor einer weiteren Verschärfung ihrer Krise zu bewahren.

Mit Blick auf den Absturz des britischen Pfundes, nachdem die neue Regierung ihre Verschuldungspläne vorgestellt hatte, teilte die Notenbank am Mittwoch mit, es gebe ein «erhebliches Risiko für die britische Finanzstabilität», wenn diese Situation andauere oder sich weiter verschärfe. Daher will die Bank ab sofort Staatspapiere mit langer Laufzeit erwerben - ohne Obergrenze. Dadurch soll sich der Markt stabilisieren.

Ähnliche Massnahmen seien in der Vergangenheit während der Finanzkrise oder der Corona-Pandemie ergriffen werden - aber noch nie, «um die Auswirkungen der Haushaltspläne der eigenen Regierung zu begrenzen», sagte der deutsch-britische Ökonom Andrew Lee, der an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Karlsruhe lehrt, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. «Das ist völlig beispiellos.»

Der neue Finanzminister Kwasi Kwarteng hatte am Freitag erhebliche Steuererleichterungen angekündigt, die vor allem Reichen zugute kommen und deren Finanzierung unklar ist. Er und Premierministerin Liz Truss wollen mit der bereits als «Kwasikaze» verspotteten Hauruck-Aktion das Wirtschaftswachstum ankurbeln. «Truss und Kwarteng haben aufs Gaspedal getreten, und die Bank of England bewahrt nun gewissermassen den Motor des Autos davor, zu explodieren», sagte Experte Lee.

Auch der Chef der grössten britischen Oppositionspartei Labour macht die Regierung selbst für das Fiasko verantwortlich: Keir Starmer rief den Finanzminister dazu auf, die ungewöhnlich scharfe Mahnung des Internationalen Währungsfonds (IWF) ernst zu nehmen und eine Kehrtwende zu vollziehen.

Der IWF hatte am Dienstagabend verlauten lassen, «grosse und ungezielte Finanzpakete» seien angesichts der hohen Inflation in Grossbritannien und vielen anderen Ländern im Augenblick nicht zu empfehlen. Es sei wichtig, dass die Steuerpolitik nicht gegenläufig zur Geldpolitik wirke. «Die Art und Weise der britischen Massnahmen wird ausserdem sehr wahrscheinlich die Ungleichheit vergrössern», sagte ein Sprecher.

Nicht alle wollen jedoch einsehen, dass die auf das Kabinett von Boris Johnson folgende Regierung die wirtschaftliche Situation ihres Landes bereits kurz nach Amtsantritt verschlechtert statt verbessert hat. «Diese winzigen Steuersenkungen für den Fall des Pfunds verantwortlich zu machen ist, als wenn eine Fliege, die sich auf ein Pferd setzt, das sich zum Schlafen hinlegt, sich einreden würde, sie habe das mächtige Tier zu Boden gerungen», schrieb der konservative Kolumnist Daniel Hannan, der auch Mitglied im Oberhaus ist, in einem Beitrag für das Portal «Conservative Home». Vielmehr verunsichere die Finanzmärkte, dass möglicherweise Labour-Chef Starmer in wenigen Jahren die Regierung anführen könne, so Hannan.

«Der Tiefflug des Pfund Sterling ist ein Vertrauensentzug der Finanzmärkte gegenüber der Fiskalpolitik der britischen Regierung», hält Alexander Altmann, Partner bei der Londoner Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Blick Rothenberg, dagegen. Anders als in den 1980er Jahren unter Premierministerin Margaret Thatcher seien die aktuellen Steuersenkungen nicht gegenfinanziert. Dies könne in Zeiten hoher Zinsen «eine Abwärtsspirale» zur Folge haben.

Ökonom Lee hebt hervor, dass für viele Eigentümer von Häusern und Wohnungen die Abbezahlung ihrer Kredite deutlich teurer werden dürfte. In Grossbritannien ist das Kaufen von Immobilien deutlich üblicher als langfristiges Mieten. Auch im Supermarkt dürfte fast jeder und jede die Effekte zu spüren bekommen. Im September stiegen die Lebensmittelpreise mit 10,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr so stark wie nie zuvor. Eine hohe Inflation treffe immer die Ärmsten am stärksten, so Lee. Und solange das Pfund schwach sei, würden alle Waren aus dem Ausland entsprechend teurer.

Wie es in Grossbritannien weitergeht, hängt zum einen von weiteren Zinsentscheidungen der Bank of England ab - und zum anderen davon, was Finanzminister Kwarteng beim nächsten Haushaltsplan Ende November verkündet. Das Datum biete eine frühe Möglichkeit, um das Unterstützungspaket gezielter zu gestalten und die Steuerpläne anzupassen, mahnte der IWF - besonders jene für die Topverdiener.

Mit der Herausforderung, geeignete Antworten auf die Energiekrise und steigende Preise zu finden, steht Grossbritannien nicht allein da. Den Ansatz der deutschen Bundesregierung, besonders belasteten Unternehmen und ärmeren Haushalten direkte Hilfe zu gewähren, findet Ökonom Lee jedoch überzeugender. «Allerdings gibt es wirklich kein Land, das so einen absurden Plan hat wie Grossbritannien. Das ist wirklich kein Massstab.»

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