Unser Kolumnist wünscht sich, dass seine MitbürgerInnen fünf Gramm Hirnschmalz benutzen, bevor sie aus dem Haus gehen ...
Reda El Arbi
Gastautor bei Nau.ch: Reda El Arbi. - Nau.ch
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Das Wichtigste in Kürze

  • Nau.ch-Kolumnist Reda El Arbi erklärt die linksgrünversiffte Welt.
  • Reda El Arbi erlangte als Blogger und Journalist Bekanntheit.
  • Bis 2011 war er Chefredaktor des Satiremagazins «Hauptstadt».
  • Er lebt mit Frau und zwei Hunden in Stein am Rhein SH.

«Gegen das Virus hilft nur Vernunft!», hab ich letztens gelesen. «Oh Gott, wir sind verloren!», hab ich gedacht. Und dabei meine ich nicht mal die Alternativ-Intelligenzler, die nach Coiffeurbesuch und Grosseinkauf in einer vollen Beiz #FreedomNOW und #EndTheLockdown in ihr Handy hacken, bevor sie sich im Park mit ihren Freunden treffen, gegen die Diktatur wettern und sich mit verfolgten Juden vergleichen.

Ich meine Sie und mich. Es macht nicht viel Sinn, Leute auszulachen, die sich an Demos versammeln, wenn man selbst gleichzeitig fahrlässig die gleichen Menschenansammlungen produziert.

Am Auffahrts-Donnerstag konnte man es sehen. Natürlich sind alle froh, dass die meisten Beschränkungen des Lockdowns wieder weg sind. Und nach Wochen Homeoffice und Familiensandwich will man auch wieder mal raus.

Oeschinensee Kandersteg
Der Oeschinensee ist ein beliebtes Ausflugsziel an Auffahrt. Auch mit Coronavirus. - Keystone

Aber bitte, denken Sie doch fünf Sekunden nach, bevor Sie aus dem Haus gehen. Zum Beispiel über Ihr Ausflugsziel: Ist es ein Ort, der weitherum für seine Schönheit bekannt ist? Werden da andere Familien rumhängen, die auch nicht weiter denken als wir? Werden wir uns da vor dem Glacé-Stand, am Bahnhof, in den engen Gassen gegenseitig in den Hals atmen? Wenn Sie diese Fragen mit JA! beantworten können, suchen Sie sich einfach ein anderes Ausflugsziel. In der Schweiz ist das nicht soooo schwierig. Im Prinzip kann man hier in jedem Kaff aus dem Zug oder Auto steigen und findet nach ein paar Hundert Metern ein schönes Plätzchen.

Natürlich müssen wir die einheimische Gastronomie und den Tourismus unterstützen, aber doch bitte nicht alle zur gleichen Zeit am gleichen Ort. Gerade Gastronomie und Tourismus werden es Ihnen danken, wenn keine krasse zweite Welle kommt, die sie wieder zum Schliessen zwingt.

Basler Steinenvorstadt
Die Basler Steinenvorstadt.. (Archivbild) - Keystone

Genauso im Ausgang. Ich weiss, es ist beinahe Folter für den durchschnittlichen urbanen Angeber, wenn man sich ein paar Wochen lang nicht mit seinen Freunden in einer schicken Bar die Kante geben kann - oder für Zürcher oder Basler Hipster: Wenn man kein Publikum für seine Coolness hat, und der einzige Laufsteg für den persönlichen Narzissmus der eigene Instagram-Account ist. Das ist aber wirklich kein Grund, zu Hunderten vor den drei ewig gleichen In-Bars herumzugammeln und nach jedem geleerten Glas näher aneinander zu kleben.

Ich wurde gefragt, warum ich gegen die Demos schimpfe, aber nicht gegen die Massenansammlungen in den Einkaufsmeilen. Das tue ich hiermit. «Freier Markt ist es, wenn die Wirtschaft zusammenbricht, weil die Leute ein paar Wochen lang nur das kaufen, was sie wirklich brauchen», hab ich letzthin auf Twitter gelesen. Das ist etwas vereinfacht, aber es trifft einen Punkt. Offenbar fühlen sich viele Menschen nur lebendig, wenn sie etwas konsumieren, kaufen, Geld ausgeben. Das ist auch nicht so schlimm. Nur sollte man mitten in einer Pandemie vielleicht nicht mit Drölfzillionen anderen Menschen am Samstagnachmittag auf Shoppingtour, weil ... Sie wissen schon, anderen in den Hals atmen und so. Gar nicht so kompliziert, nicht?

Masken Coronavirus
Besucher tragen auf dem Wochenmarkt wegen dem Coronavirus Schutzmasken. In der Schweiz kommt eine solche Pflicht nicht. - dpa

Denken Sie über Masken nach? Ja, Masken sind blöd. Ich trag sie auch nicht gerne. Aber ich hab immer welche dabei. Wenn ich in den Zug steige und nur drei Nasen im Abteil sind, kein Problem. Wenn ich in ein Tram steige, in dem jede Sitzreihe mindestens einen Passagier aufweist, ziehe ich sie an. Natürlich kommen jetzt Leute, die meinen, Masken seien völlig nutzlos, weil Studie XY belegt dass .... Aber eben, denken Sie einen Augenblick nach. Wenn jemand hinter Ihnen im Tram sitzt, ist es Ihnen dann lieber, wenn er Ihnen ohne Maske in den Nacken hustet oder rotzt? Oder wären Sie beruhigter, wenn die Speichelfontäne von einer Maske wenigstens etwas aufgehalten wird?

Das langsame Ende des Lockdowns ist leider nicht das Ende des Virus. Das ist blöd. Aber ehrlich, mit ein paar Gramm Hirnschmalz können wir uns wieder einem weitgehend normalen Leben widmen. Und falls wir diesen Hirnschmalz nicht aufbringen, dürfen wir uns auch nicht beschweren, wenn der Staat sich wieder wie ein Kindermädchen einmischen muss.

Zum Autor: Reda El Arbi ist 50-jährig, kommt aus Zürich und zog vor einigen Jahren nach Stein am Rhein. Grosse Bekanntheit erlangte er mit seinem Zürcher «Stadtblog» für den «Tagesanzeiger». El Arbi schreibt unverblümt, hat zu allem eine Meinung und polarisiert auch gern. Er ist verheiratet und lebt mit Frau und Hund in Stein am Rhein SH.

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