Konzernverantwortung und der Mythos einer «einmaligen Haftung»: Ein Gastbeitrag zur Konzern-Initiative von Wirtschaftsrechts-Professorin Isabelle Wildhaber.
Isabelle Wildhaber.
Prof. Dr. iur. Isabelle Wildhaber, Ordentliche Professorin für Privat- und Wirtschaftsrecht, Universität St. Gallen. - zVg
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Das Wichtigste in Kürze

  • Am 29. November stimmt die Schweiz über die Konzern-Initiative ab.
  • Isabelle Wildhaber ist Professorin an der HSG und auf Haftpflichtrecht spezialisiert.
  • In diesem Gastbeitrag will die Expertin Fakten zur Konzern-Initiative klarstellen.

So hitzig der Abstimmungskampf zur KVI verläuft, so einig sind sich eigentlich alle im Kern: Konzernverantwortung ist wichtig und es ist besser, Probleme zu verhindern, bevor Schäden entstehen. Kernanliegen der Konzernverantwortungsinitiative ist es, durch eine sogenannte Sorgfaltsprüfungspflicht Schäden an Mensch und Umwelt zu vermeiden.

Es geht also um diese Prävention mittels professionellem Risikomanagement. Zankapfel ist nun aber die Frage der Haftung, falls es trotzdem zu einem Schaden kommt.

Als Expertin für Haftpflichtrecht möchte ich einige haftpflichtrechtliche Aspekte der Initiative klarstellen.

Grundnorm der Unternehmenshaftung

Um sicherzustellen, dass Unternehmen diese Präventionspflicht ernst nehmen, gibt die KVI vor, wer im Konzern, das heisst in einer Unternehmensgruppe, für einen Schaden haftet: Es ist dies nicht nur das ausländische Tochterunternehmen, welches den Schaden verursachte, sondern auch die schweizerische Konzernmutter. Und genau das ist der Stein des gegnerischen Anstosses.

Bezirksgericht Zürich.
Prof. Wildhaber: «Zankapfel ist nun aber die Frage der Haftung, falls es trotzdem zu einem Schaden kommt.» - keystone

Die Initiative lehnt sich, wie die Botschaft des Bundesrates zu Recht erkennt, an die bestehende Geschäftsherrenhaftung an. Die Logik dieser Haftung ist bestechend: Wer über einen anderen Unternehmensakteur die Kontrolle hat, soll bei angemessener Sorgfalt auch dafür sorgen, dass dieser keinen Schaden anrichtet. Das ist die Grundnorm der Unternehmenshaftung.

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Keine Schweizer Einzigartigkeit

Die Geschäftsherrenhaftung ist keine Schweizer Einzigartigkeit, sondern auch im Ausland ein weit verbreitetes Grundprinzip des Haftpflichtrechts. Die internationale Lehre und Praxis vertreten mehrheitlich die Meinung, dass diese Haftung auf den Konzern Anwendung finden soll. Die Mutter soll also für die Tochter haften.

KVI Schokolade
Schokolade für die Konzern-Initiative: Am 29. November wird abgestimmt. - Keystone

In der Europäischen Union bestehen aktuell Bemühungen, diese in den Mitgliedstaaten verbreitete Auffassung – ganz im Sinne der KVI – auf EU-Ebene nachzuvollziehen.

Deshalb erstaunt es, wenn die Vorsteherin des EJPD in Medienberichten sagt, die KVI würde zu einer «einmaligen Haftung» führen. Das widerspricht einerseits dem geltenden Recht der Schweiz, aber andererseits auch den Entwicklungen in anderen Ländern und der EU.

Keine Umkehr der Beweislast bei KVI

Die Initiative kennt keine Umkehr der Beweislast. Wie bei der Geschäftsherrenhaftung liegt die Beweispflicht bei den Geschädigten und das Schweizer Unternehmen kann sich sodann von der Haftung befreien.

Die Geschädigten tragen weiterhin die hürdenreichen Beweise zum Schaden, der Widerrechtlichkeit der Handlung und dem Kausalzusammenhang zwischen Handlung und Schaden. Und auch wenn Geschädigte ihren widerrechtlich erlittenen Schaden bewiesen haben, kann eine Schweizer Konzernmutter sich dann von der Haftung befreien, indem sie ihre angemessene Sorgfalt nachweist.

Bezirksgericht Zürich.
Rechts-Expertin Wildhaber: «Die Initiative kennt keine Umkehr der Beweislast.» - keystone

Ein Schweizer Unternehmen haftet also nur, wenn ihm selber eine Unsorgfalt vorzuwerfen ist. Es wäre auch aus praktischer Sicht unrealistisch, vom Geschädigten den Beweis zu erwarten, dass das Unternehmen Sorgfalt hat walten lassen, liegen die Beweise dafür doch in den Büros und auf den Servern der Konzernzentrale.

Zulieferer sind ausgeschlossen

Gegner der Konzernverantwortungsinitiative befürchten auch immer wieder eine Haftung für Lieferanten. Gehaftet wird aber nur dort, wo konzernrelevante Kontrolle und damit eine Unternehmensgruppe besteht.

Ein Konzern kann nach unbestrittener Lehre auch durch wirtschaftliche Kontrolle bestehen. So sieht es der Initiativtext vor. Für einen Zulieferer zu haften, der nicht Teil des Konzerns ist, ginge in der Tat zu weit. Das sieht das Volksbegehren aber gar nicht vor.

Betrifft KMU nicht

Die KMU (etwa mit weniger als 250 Mitarbeitenden) sind von der Vorlage im Übrigen nicht betroffen, ausser sie arbeiten in einem Hochrisikobereich wie dem Diamantenhandel in Risikoländern, dies weder bezüglich Sorgfaltsprüfungspflicht noch der Haftung. So sieht es die Botschaft im Verständnis der Initiative vor.

Bundesrat spricht von einem Bruch

Der Bundesrat schreibt im offiziellen Abstimmungsbüchlein: «Die Schweiz würde auch mit anerkannten internationalen Rechtsgrundsätzen brechen, wenn sie solche Schadensfälle explizit unter Schweizer Recht stellt.»

keller-sutter svp
Justizministerin Karin Keller-Sutter (FDP). - sda - KEYSTONE/ANTHONY ANEX

Und die Justizministerin erklärte kürzlich auf Blick TV: «Aber es gibt Rechtsgrundsätze. Es gilt der Grundsatz, dass eine Firma haftet für einen Schaden, den sie anrichtet, am Ort wo sie den Schaden anrichtet. (...). Und auch im Strafrecht – hier handelt es sich ja offensichtlich eher um Strafrecht – gilt erst recht, dass der Tatort der Ort ist, wo man ein Vergehen oder Verbrechen beurteilt.»

Bei KVI geht es um Haftpflichtrecht – nicht um Strafrecht

Diese Aussagen erstaunen. Erstens geht es bei der KVI eindeutig nicht um Strafrecht, sondern um Haftpflichtrecht, also Zivilrecht. Zweitens kann hier zwar als Regelfall betrachtet werden, dass das Recht am Ort des Eintritts der Verletzung zur Anwendung kommt.

Das ist aber keineswegs eine Exklusivität, wie der Bundesrat den Eindruck erweckt.

Auch die Schweiz weist hier eine grosse Nähe zum Tatbestand auf, etwa als Handlungsort einer möglichen Unterlassung durch die Schweizer Konzernzentrale.

Zum Beispiel können in unserem Produktehaftpflichtrecht oder im EU-Umwelthaftungsrecht die Geschädigten gar auswählen, ob sie den Fall lieber nach dem Recht des Erfolgsortes oder dem Wohnsitz des Beklagten beurteilt haben möchten.

Die Regelung der KVI mit einer Anknüpfung am Handlungsort ist – entgegen der geradezu dramatischen Rhetorik des Bundesrats eines «Brechens» internationaler Rechtsgrundsätze – ohne Weiteres mit den Regeln des Internationalen Privatrechts vereinbar.

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