Narzisstische Eltern: Applaus gibts nur bei Perfektion!
«Narzisstische Eltern brauchen keine Kinder, sie wollen Trophäen», schreibt unsere Expertin Chris Oeuvray. Hier kommen Tipps, was man daraus lernen kann.

Das Wichtigste in Kürze
- Chris Oeuvray ist Narzissmus-Expertin.
- Heute erklärt sie, wie Kinder von narzisstischen Eltern noch heute darunter leiden können.
Sie stand auf der Bühne, kaum zehn Jahre alt, der Blick suchend ins Publikum. Ihre Augen wanderten an den Reihen vorbei – bis sie ihre Mutter fand.
Sie hoffte auf ein Lächeln. Auf Stolz. Auf ein Nicken. Doch die Mutter schaute auf ihr Handy. Kein Blick. Kein Applaus. Nur Leere.

«Weil ich nicht perfekt genug war», sagte mir Lisa (35) in meiner Praxis. Und weiter: «Wenn ich Fehler machte, hat sie mich ignoriert. Wenn ich glänzte, hat sie mich benutzt.»
Vielleicht kennst du dieses Gefühl? Du strengst dich an, willst gefallen, willst gesehen werden – aber etwas fehlt.
Du spürst: Ich bin da, aber ich werde nicht wirklich wahrgenommen. Du funktionierst – aber du wirst nicht gefühlt.
Viele Menschen wachsen mit narzisstischen Eltern auf – ohne dass es ihnen bewusst ist. Was bleibt, ist eine tiefe innere Leere. Und der ständige Versuch, sie zu füllen: mit Leistung,
Anpassung oder Selbstverleugnung. Und mit der ewigen Suche nach Liebe und Bestätigung, die man als Kind nicht erhalten hat.
Wenn deine Kindheit zur Bühne wird
Narzisstische Eltern brauchen keine Kinder, sie wollen Trophäen. Spiegel, die bestätigen, wie besonders, erfolgreich oder überlegen sie sind.
Wenn du brav warst, wurdest du gelobt. Wenn du Leistung erbracht hast, fühltest du dich gebraucht. Aber wehe, du hast echte Gefühle gezeigt. Dann wurde es still. Oder kalt. Oder herabwürdigend.
Vielleicht hast du gelernt: Ich muss stark sein. Ich darf nicht enttäuschen. Ich bin nur dann liebenswert, wenn ich etwas leiste.
Doch diese Überzeugungen sind nicht real. Sie sind das Echo deiner Kindheit.

Was das mit dir macht
Wenn du mit einem narzisstischen Elternteil aufgewachsen bist, hast du dich immer wieder gefragt: Bin ich zu sensibel? Zu fordernd? Nicht gut genug?
Du hast deine Bedürfnisse zurückgestellt, um zu überleben. Hast gelernt, dich selbst zu regulieren – weil da niemand war, der es für dich getan hätte.
Und vielleicht trägst du diese Muster noch heute in deine Beziehungen. Du gibst mehr, als du hast. Du erklärst dich zu viel. Du hoffst – statt zu spüren, was du brauchst.
Wenn du Liebe nicht kennengelernt hast, erkennst du sie nicht
Viele meiner Klienten sagen irgendwann den Satz: «Ich habe nie gelernt, wie sich echte Liebe anfühlt.» Sie verwechseln Aufmerksamkeit mit Zuneigung. Kontrolle mit Fürsorge.
Und geraten deshalb immer wieder an Menschen, die wie damals deine Eltern manipulieren, dich benutzen, dich klein halten. Denn genauso wurden sie konditioniert.
Deine Befreiung beginnt mit einem klaren Entschluss
Einen Moment, in dem du erkennst: Du bist mehr als ein Spiegel. Du bist ein Mensch mit Tiefe, mit Herz, mit Würde.
Und du darfst beginnen, dich selbst zu wählen – jeden Tag ein Stück mehr. Du musst dich nicht länger verbiegen, um geliebt zu werden.
Du darfst dich zeigen – mit allem, was du bist. Und du darfst Grenzen setzen. Auch gegenüber deinen Eltern.
Deine Heilung beginnt, wenn du hinschaust
Vielleicht tut es weh, das zu erkennen. Aber noch schmerzhafter ist es, weiter ein Leben zu führen, das nicht zu dir gehört.
Heilung beginnt dort, wo du dich selbst ernst nimmst. Wo du aufhörst, dich zu erklären. Und anfängst, gut für dich zu sorgen.
Du bist nicht falsch. Du bist nicht zu viel. Du warst ein Kind, das geliebt werden wollte – und jetzt bist du eine erwachsene Person, die lernen darf, sich selbst zu lieben.
Das ist kein Egoismus, sondern Befreiung
Zur Person: Chris Oeuvray ist Expertin für Narzissmus, psychologische Beraterin und Autorin («Narzissmus – ohne mich», weitere Bücher auf ch-oeuvray.ch) aus Zug.