Meret Schneider: Heidi-Bücher aus China – nein danke!

Meret Schneider
Meret Schneider

Stäfa,

In ihrer neuesten Kolumne nimmt Meret Schneider das neue «Local-to-local»-Programm vom Billigwaren-Anbieter Temu unter die Lupe. Die Fassade bröckelt rasch.

Meret Schneider Vegan
Nationalrätin Meret Schneider schreibt regelmässig Kolumnen für Nau.ch. - zvg

Das Wichtigste in Kürze

  • Nationalrätin Meret Schneider schreibt auf Nau.ch regelmässig Kolumnen.
  • Heute schreibt sie über chinesische Billigartikel von Anbieter Temu.
  • Suche man nach lokalen Produkten, würden Waren aus China erscheinen.

Die Produkte des chinesischen Billigwaren-Anbieter Temu, der immer wieder für mehr oder weniger brauchbare Gegenstände und Accessoires wirbt, vereint eines: Sie sind absurd billig. Es sind T-Shirts für 5 Franken, doppelwandige Edelstahl-Saucières für nur 9.95 Franken – oder 12 Baumwoll-Küchentücher für gerade mal 12 Franken.

Meine erste Assoziation zu Temu ist denn auch: Maximal preisgünstige Produkte, die durch den Paketstau die internationalen Lieferketten verstopfen.

Kaufst du Billigwaren bei Temu ein?

Neue Fassade bröckelt leicht

Diesem Image will Temu nun offenbar ein Ende setzen und versucht sich in Fairwashing. Bislang allerdings ohne Erfolg.

«Local-to-local» heisst das Programm, das am 15. September lanciert wurde. Und mit dem sich Temu einen lokaleren Anstrich verleihen will. Doch: Die frische Fassade beginnt bereits zu bröckeln, wenn man sie nur leicht auf ihre Glaubwürdigkeit abklopft.

Mit dem neuen «Local-to-local»-Programm sollen Schweizer Händler ihre Produkte direkt auf der Plattform anbieten können, wodurch sich Temu gemäss eigenen Aussagen als Online-Marktplatz für lokale Unternehmen präsentiert. Und Schweizer Unternehmen zu neuen Wachstumschancen verhelfen will.

Näher liegt der Gedanke, dass sich Temu als schärfere Konkurrenz zu etablierten Anbietern wie Digitec und Galaxus im Markt positionieren möchte. Aber wer bin ich, um dies zu beurteilen? Wenn das Resultat ein Positives ist und vermehrt Schweizer Produkte in der Schweiz Absatz finden, soll es mir recht sein.

Lokale Produkte gibt es keine

Interessant wird es allerdings, wenn man nach den lokalen Produkten sucht – und sie tatsächlich nirgends findet. Sucht man auf Temu nämlich nach «local products», erscheinen diverse Artikel mit Aufschriften wie «Support your local Farmer» (das sind T-Shirts) oder «Eat fresh, buy local» (eine Tasse). Die Shirts stammen dabei aus Guangdong und die Tassen aus Zheijang, beides China.

Skurrile Situation beim Kafi-Trinken

Die Vorstellung, einen frischen Schweizer Most aus einer chinesischen Tasse mit der Aufschrift «buy local» zu trinken, entbehrt nicht einer gewissen Skurrilität, die zu einer Metapher für den Zeitgeist gerät.

Wir suchen weiter nach lokalen Produkten. Wer in der App eine einzelne Produktkategorie auswählt, beispielsweise Damenbekleidung, muss bei der Auswahl der Produktfilter ganz nach unten scrollen und dort dann auf den Reiter «lokales Lager» klicken. Mit einem Klick auf den Button, der mehr Informationen zum Shop verspricht, erfährt man dann, dass hinter sämtlichen Produkten chinesische Unternehmen stehen.

So läuft es auch bei anderen Produktabfragen. Das «lokale Lager» bedeutet schlicht, dass die Anbieter in ein Lager in Europa eingemietet sind. Und deshalb einen Versand innerhalb von 48 Stunden in Aussicht stellen können.

Heidi-Bücher aus Hongkong

Zum aktuellen Zeitpunkt findet sich auf Temu kein einziges Schweizer Produkt, trotz vollmundiger Ankündigung. Wer nach Schweizer Produkten sucht, findet zwar Heidi-Bücher aus Hongkong. Oder Holzschnitz-Tutorials aus Szechuan. Aber kein einziges Produkt mit Schweizer Herkunft.

heidi Buch
Darf es ein Heidi-Buch aus China sein? - zvg

Was bedeutet das Programm «Local-to-local» tatsächlich? Und woran scheitert es? Offenbar an den Schweizer Unternehmen, die sich dem Tiefpreisniveau zurecht nicht anpassen wollen, oder sich dem Preisdumping aus ideellen Gründen widersetzen.

So gibt eine Kleidermarke bekannt: «Für uns würde es aufgrund unserer Werte und unseres Nachhaltigkeitsversprechens niemals infrage kommen, auf Temu aktiv zu sein.» Das freut und überrascht mich zugleich.

Komplexe Situation auf Agrarmarkt

Es scheint in diesem Sektor also zu funktionieren, was sich im Bereich der Agrarprodukte zumeist schwierig gestaltet: Man steht für faire Preise ein und ist nicht bereit, aufgrund ausländischer Konkurrenz ein bestimmtes Preisniveau zu unterschreiten.

Während Schweizer Bäuerinnen und Bauern, getrieben vom Preiskampf durch die Importprodukte, oft versuchen, intensiver, günstiger und grösser zu produzieren, um Produzentenpreise zu senken, machen hier die Unternehmen einfach nicht mit. Chapeau!

Klar ist die Situation auf dem Agrarmarkt komplexer und die Konkurrenzsituation verschärfter.

Kaufst du lokal ein?

Umso mehr gelten hier aber die Sprüche auf den chinesischen Billigartikeln: Support your local Farmer & buy local!

Onlineplattformen, auf denen man die Schweizer Bäuerinnen und Bauern und ihr Angebot findet, gibt es schliesslich verschiedene. Wie beispielsweise «lokal+fair» vom Verein Faire Märkte Schweiz. Oder vomhof.ch vom Schweizer Bauernverband.

Da sind wir Temu sogar einen Schritt voraus. Buy local!

Zur Person: Meret Schneider (32) ist Mitglied des Schweizer Nationalrats. Sie arbeitet als Projektleiterin beim Kampagnenforum. Weiter ist sie Vorstandsmitglied der Grünen Partei Uster ZH.

Kommentare

User #4206 (nicht angemeldet)

Die chinesischen Kinderbücher sind eine gute Gelegenheit, die Sprache und Schriftzeichen zu lernen.

User #4818 (nicht angemeldet)

Doppelmoral erhält bei Nau stehts viel Aufmerksamkeit.

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