Martin Jucker: Mehr Biodiversität für mehr Nahrungsmittelproduktion
Biodiversität wird von der Politik dauernd gegen Ernährungssicherheit ausgespielt. Es gibt zwei Verlierer: Biodiversität und Ernährungssicherheit.

Das Wichtigste in Kürze
- Martin Jucker betreibt die bekannte «Jucker Farm» in Seegräben ZH.
- Auf Nau.ch schreibt Jucker regelmässig Kolumnen.
- Heute schreibt Jucker über Wege, Biodiversität und Nahrungsmittelproduktion zu steigern.
Es ist unbestritten. Wir haben auf unserer Erde grosse Probleme – und zwei davon gehören zusammen: die Biodiversität und die Ernährung der wachsenden Bevölkerung.
Wenn man die Politik aus Bern verfolgt, könnte man meinen, dass wir uns entscheiden müssten. Beides geht vermeintlich nicht. Aber wer will schon hungern?
Wer will schon tatenlos dem Artensterben zusehen, bis wir an der Reihe sind? Es ist auf den ersten Blick ein unlösbares Problem. Aber wie sieht es auf den zweiten Blick aus?
Die Kämpfer für die Biodiversität sind mehrheitlich auf der links-grünen Seite angesiedelt. Sie profilieren sich als Retter des Planeten – und wollen mit immer neuen Vorschriften und Auflagen die Biodiversitätsflächen steigern.

Wer ist auf dem richtigen Weg?
Das sind grundsätzlich gute Absichten. Nur: Wenn man politisch links von Biodiversität redet, dann geht es um Magerwiesen, Hecken und Moorflächen. Je mehr, desto besser. Alles andere zählt nicht.
Die Logik: «Wir müssen viel mehr Flächen der Nahrungsmittelproduktion entziehen, damit die Biodiversität steigt.»
Auf der anderen Seite, im rechtsbürgerlichen Lager, gehen natürlich alle Alarmsysteme los. Die Ernährungssicherheit sei gefährdet, wertvolles Ackerland werde für immer zerstört durch immer neue Verbote und Regelungen.
Wir müssen auf Teufel komm raus Nahrungsmittel produzieren, als wären wir noch in der Anbauschlacht.
Wer ist jetzt auf dem richtigen Weg? Meine Meinung ist da klar: niemand!
Eine Kombination ist gefragt
Etwas oberflächlich betrachtet, werden hier zwei absolut zentrale und wichtige Themen «verpolitisiert». Es geht längst nicht mehr um Biodiversität oder Ernährungssicherheit, sondern um linke oder rechte Ideologie.
Wie würde eine Lösung jenseits der politischen Landschaft aussehen? Die Sache ist eigentlich klar: Für mehr Nahrungsmittelproduktion braucht es mehr Biodiversität. Wir müssen diese zwei Themen kombinieren, sie nicht gegeneinander ausspielen.
Es gibt einen Weg
Ein konkretes Beispiel ist die Getreideproduktion. Traditionell wird Getreide in Monokultur angebaut, weil man davon ausgeht, dass so das Maximum aus der Fläche geholt werden kann.
Leidtragend ist die Biodiversität auf und im Boden (die grösste Biodiversität befindet sich nämlich in den obersten 30 cm des Bodens, der Humusschicht). Sät man dem Getreide eine Untersaatenmischung aus ungefähr 15 Pflanzen bei, wird aus einer Monokultur plötzlich eine Mischkultur.

Jede dieser Pflanzenarten zieht verschiedene Insekten an, der Boden wird durchwurzelt, gelockert und das Bodenleben mit Nährstoffen versorgt. Den Ernte-Ertrag tangiert das nicht.
Es gibt also einen Weg, die Biodiversität zu fördern und trotzdem viel Nahrungsmittel zu produzieren. Und ganz nebenbei wird der Getreideanbau widerstandsfähiger gegenüber Schädlingen und Krankheiten. Es kann im besten Fall auf Pestizide verzichtet werden.
Machbar und produktiv
Solche Praktiken fördern die langfristige Bodenfruchtbarkeit, tragen so zur Ernährungssicherheit bei. Und fördern die Biodiversität auch ohne einen hübschen Blühstreifen.
Doch ist so etwas praktisch umsetzbar? Eine schnell wachsende Zahl von Bäuerinnen und Bauern, die ihren Betrieb nach den Grundsätzen der regenerativen Landwirtschaft führen, beweisen täglich, dass es möglich ist.
Auch wenn es in der Praxis natürlich etwas komplexer ist: Es ist machbar und es ist produktiv.
Parolen zur Seite legen
Alles, was Vielfalt fördert, ist gut. Was sie reduziert, ist schlecht.
Wie wärs, wenn alle politischen Akteure für einmal ihre vorgefertigten agrarpolitischen Parolen beiseitelegen würden? Wenn wir die Biodiversitätsleistung der Bauern messen und belohnen, statt die Landwirtschaft in ein Regelwerk von Massnahmen zu zwängen?
Bauern und Bäuerinnen, die wieder bauern dürfen – und nicht nur die Checkliste vom Staat abarbeiten.
Es gäbe auch Verlierer
Je mehr Biodiversität sie hervorbringen, je mehr Direktzahlungen kriegen sie. Meist geht das einher mit hohen, stabilen Erträgen. Win-Win? Es gäbe auch Verlierer.
Denn: Mindestens die Hälfte aller Akteure in der Agrarpolitik (von beiden Seiten) hätte keine Daseinsberechtigung mehr.
Mit der regenerativen Landwirtschaft entwickeln wir eine Lösung für viele grosse und drängende Fragen der Menschheit.
Ich bin sehr dankbar, dass wir diesen Weg nicht alleine gehen müssen. Es wäre aber schon sehr schön, wenn die ganzen staatlichen Ressourcen nicht in unproduktiven Grabenkämpfen aufgerieben würden.
Die Lösungen für die Zukunft liegen bereit, wir müssen sie nur anpacken!
Zur Person: Martin Jucker ist gelernter Obstbauer und hat sich mit der «Jucker Farm» in Seegräben ZH über die Landesgrenzen hinweg einen Namen gemacht. Er steht für innovative, nachhaltige und unabhängige Landwirtschaft. 2014 wurde er zusammen mit seinem Bruder Beat, als bisher einziger Bauer, zum Schweizer Unternehmer des Jahres gewählt.