Rund 500 Menschen haben am Ostermontag in Bern für den Frieden demonstriert. Nationalrätin Marionna Schlatter hielt dabei eine Rede. Hier ist sie.
Marionna Schlatter-Schmid
Marionna Schlatter-Schmid, Nationalrätin Grüne (ZH). - zVg

Das Wichtigste in Kürze

  • Nationalrätin Marionna Schlatter (Grüne) hielt am Ostermarsch in Bern eine Rede.
  • Auf Nau.ch bringen wir Schlatters Rede in voller Länge als Gastbeitrag zum Nachlesen.
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Ich wurde in den letzten zwei Jahren so viele Male gefragt, ob die Friedensbewegung tot sei, ob der Pazifismus ausgedient habe. Ich wurde beschimpft und belächelt. Mir wurde vorgeworfen, keine Ahnung zu haben, kein Gewissen und schon recht keine sicherheitspolitische Expertise.

Und ich bin Teil eines Parlaments, das seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine gerade mal etwas zustande gebracht hat:

die Kriegsmaterialexport-Gesetzgebung so zu lockern, dass Schweizer Rüstungsmaterial in Länder exportiert werden kann, die Menschenrechte verletzen, nicht aber in die Ukraine.

Ein Parlament, das aber Nein sagt zum Ausbau der humanitären Hilfe, das Nein sagt zum Ausstieg aus den Fossilen aus Russland, das Nein sagt zum Beitritt in die Oligarchen-Taskforce, das Nein sagt zu einem Fonds für den Wiederaufbau in der Ukraine, das Nein sagt zu der Aufsicht über den Rohstoffhandelsplatz in Zug, wo 80 Prozent der russischen Rohstoffe gehandelt werden, das Nein sagt zu einer Kriegsgewinnsteuer und das Nein sagt zu einer friedenspolitischen Gesamtstrategie.

Meine Worte für euch, sie sind darum etwas wütend. Denn es macht mich wütend, dass sie uns naiv nennen, all die Menschen, die den Wert anderer Dinge sehen als Waffen.

Naiv, so nennt ihr uns. Weil wir über die Ursachen von Krieg sprechen wollen.

Und ich frage zurück: Ist es nicht naiv, nur über Aufrüstung und nicht über die Ursachen von Krieg zu reden?

Ihr wollt nicht reden über russischen Milliarden in der Schweiz, über die Millionen, die Jahr und Tag aus der Schweiz in Putins Kriegskassen fliessen. Ihr wollt nicht darüber reden, weil ihr wisst, was ihr versteckt: eure Profite.

Marionna Schlatter Grüne Kampfjets
Marionna Schlatter, Nationalrätin Grüne. - Nau.ch

Naiv, so nennt ihr uns. Weil wir immer und immer übers Klima sprechen wollen.

Und ich möchte zurückfragen, ist es nicht naiv, die Augen zu verschliessen vor der Klimakrise? Vor zwei Jahren haben wir gefordert, dass wir zwei Milliarden investieren, um uns möglichst schnell unabhängig zu machen von russischem Erdgas und damit gleichzeitig alle Gasheizungen der Schweiz zu ersetzen. Dafür fehlte das Geld. Jetzt fliessen doppelt so viele Milliarden in die Armee. Aber ihr wisst genauso gut wie wir: Die Klimakrise und ihre Folgen haben ein massives Potenzial, viele zusätzliche Konflikte zu provozieren.

Naiv, so nennt ihr uns, weil wir Menschenrechte über Profit stellen.

Und ich frage zurück: Ist es nicht naiv, weiterhin dreckige Geschäfte zu machen mit autokratischen Staaten und Diktaturen? Eure Neutralität ist keine Friedensneutralität, sondern eine Profitneutralität. Ihr nennt uns naiv, wenn wir genug haben von einem Wohlstand, der andere ausbeutet. Wenn wir fragen, ob nicht Armut und Ungleichheit Kriege verursachen und woher die Mittel und die Waffen kommen.

Naiv, so nennt ihr uns, weil wir nicht mitmachen wollen im Aufrüstungsrausch.

Aber ich frage euch: Ist es nicht naiv, den Menschen vorzumachen, dass es nicht zu spät ist, wenn der Aggressor an der Landesgrenze steht? Bei Kriegen gibt es nur Verlierer. Ist es nicht ein Gebot der Vernunft, alles in unserer Macht Stehende zu unternehmen, um Kriege zu verhindern?

Naiv, so nennt ihr uns, weil wir fragen, wo Kriegsmaterial aus der Schweiz in den Einsatz kommt.

Solange ein roter Knopf existiert, wird es nie Sicherheit geben!

Aber ist es nicht naiv, der Bevölkerung vorzumachen, dass eine exportorientierte Rüstungsindustrie sich vereinbaren lässt mit der Neutralität und einer Friedenspolitik? Schweizer Kriegsmaterial tötet Menschen. In Jemen. In Brasilien. In Syrien.

Naiv, so nennt ihr uns, wenn wir über Abrüstung und Rüstungskontrolle sprechen wollen.

Dabei liegt es doch auf der Hand: Solange ein roter Knopf existiert, wird es nie Sicherheit geben! Dass der Bundesrat sich ausgerechnet jetzt, wo dies wieder so offensichtlich wird, gegen den Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag ausspricht – das ist erschreckend! Dass ausgerechnet die Schweiz, die mit ihrer Tradition den humanitären Werten und dem Frieden verpflichtet ist, sich nicht gegen ein Verbot von Atomwaffen durchringen kann – macht mich sprachlos.

Und naiv, so nennt ihr uns, weil wir über Friedensarbeit und Diplomatie sprechen möchten.

Nachhaltiger Frieden aber, der kann nicht mit Waffen geschaffen werden. Es führt kein Weg vorbei am Gespräch an einem gemeinsamen Tisch. Und niemand hat gesagt, der Weg sei einfach und schnell. Es ist einfach so, dass es der einzige Weg ist.

Ja, wenn wir uns in Kriegszeiten für Frieden einsetzen, nennt ihr uns naiv. Wenn wir uns in Friedenszeiten für Frieden einsetzen, dann nennt ihr das unnötig.

Lasst eure Stimmen hören

Und doch – sind wir hier und wir sind zahlreich. Nein, sich für Frieden einzusetzen, ist nie naiv – sondern mutig! Immer und immer wieder die eigenen Entscheidungen und Handlungen zu hinterfragen, genau das ist unsere Aufgabe als Demokratinnen, als Politikerinnen und als Menschen.

Und ich bitte euch alle hier: Lasst eure Stimmen hören. Seid nicht leise, weil die anderen laut sind. Zweifelt und hinterfragt. Und schliesst euch zusammen. Wir sind nicht allein!

Und wir wissen, mehr Waffen werden die Welt nicht sicherer machen. Aufrüstung führt zu Eskalation. Und die unhinterfragte Militarisierung ist ein Risiko für die Demokratie.

Lasst uns daher gemeinsam weiterhin für Frieden marschieren, ohne uns von denjenigen entmutigen zu lassen, die uns als naiv abtun. Sich für Frieden einzusetzen ist nicht naiv, sondern nötig! Denn die Vision von Frieden ist die einzige Hoffnung für eine bessere Zukunft.

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