Unser Kolumnist kann das Geheule um Cancel Culture nicht mehr hören. Er selbst muss ja auch Konsequenzen für seine expliziten Äusserungen tragen.
Reda El Arbi
Gastautor bei Nau.ch: Reda El Arbi. - Nau.ch
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Das Wichtigste in Kürze

  • Nau.ch-Kolumnist Reda El Arbi äussert sich zu Cancel Culture.
  • Reda El Arbi erlangte als Blogger und Journalist Bekanntheit.
  • Bis 2011 war er Chefredaktor des Satiremagazins «Hauptstadt».
  • Er lebt mit Frau und mehreren Hunden in Stein am Rhein SH.

Cancel Culture? Was bedeutet das eigentlich? Es bedeutet, dass inzwischen viele Rechte und Pseudoliberale denken, dass man jeden Bullshit, jede fremdenfeindliche, jede persönlichkeitsverletzende, jede wissenschaftsfeindliche oder faktenfreie Äusserung publizieren kann, ohne dass es irgendwelche Folgen hat. Es wird auch moniert, dass unwissenschaftliche und verschwörungstheoretische Inhalte an Universitäten und in den Medien nicht gleichwertig wie nachweislich empirische Inhalte verbreitet werden. Die «Mainstream»-Medien zensieren alternative Fakten und unpopuläre Meinungen! (Hier dürfen sie noch acht Ausrufezeichen ansetzen). Und das monieren die Unglücklichen gerade auf allen Kanälen, in allen Feuilletons.

Man soll also jeden Müll verbreiten dürfen, ohne dass es Folgen hat?

Das ist nicht so. Und soll auch nicht so sein.

Kurz, damit es auch jeder Dummy versteht: Wenn ich im Kindergarten andere Kinder beschimpfe und auslache, kann es sein, dass ich nicht zu deren Kindergeburtstag eingeladen werde. Wenn ich es übertreibe, spielt gar keiner mehr mit mir und ich muss vielleicht in eine Sonderklasse.

Für reifere Menschen: Handlungen haben Konsequenzen. Freiheit bedeutet nicht, dass ich mich wie ein Ar****ch benehmen kann, und dafür keine Konsequenzen tragen muss. Wer Position bezieht, braucht Mut und muss mit den Folgen leben können. Meinung ist nicht gratis. Wenn ich in einer Beiz Leute anpöble, kann es sein, dass ich rausgeworfen werde. Mach ich das immer wieder, kriege ich Beizenverbot. Verstanden?

Und ja, es hat auch berufliche oder wirtschaftliche Folgen. Der Kristallnacht-Twitterer hat seinen Job verloren (Sie erinnern sich?), der Rapper Kollegah hat mit widerlichen Vergleichen gespielt, und muss nun damit leben, dass einige Radiostationen seine Musik nicht mehr spielen. Dubler beharrt auf seiner rassistischen Bezeichnung für seine Süssigkeiten und wird dafür in einigen Geschäften aus den Regalen genommen. Chocolatier Läderach wird für seine homophoben und frauenfeindlichen Positionen bekannt und verliert Kundschaft. Das sind Konsequenzen aus dem eigenen Verhalten. Gibts auch bei mir. Meine Agentur bekommt keine Aufträge von Rechts, und als Journalist werde ich nie für die Weltwoche schreiben können (nicht, dass ich das will).

Der neueste Begriff in dieser erbärmlichen Jammerei über Folgen des eigenen Handelns ist «Kontaktschuld». Das bedeutet, dass jemand zum Beispiel einen Beitrag bei der Verschwörungsplattform des Antisemiten Ken Jebsen, KenFM, veröffentlicht, und dann erstaunt ist, dass man ihn mit den Inhalten der Plattform in Verbindung bringt und seine Glaubwürdigkeit leidet, oder andere Auftraggeber sich von ihm trennen (wie dem Journalisten Milosz Matuschek gerade widerfahren).

Dann gibt es Leute, die sich wundern, dass sie Freunde verlieren, oder Jobs nicht bekommen, weil man Bilder von ihnen auf Facebook oder Instagram sieht, in denen sie gemeinsam mit Rechtsextremen und Nazis demonstrieren. Das macht sie noch nicht zu Nazis. Aber das macht sie zu Personen, denen es nichts ausmacht, mit Nazis zu demonstrieren. Und das kann Folgen haben. Es gibt ein altes Sprichwort dazu: Wer sich mit Hunden schlafen legt, steht mit Flöhen auf. Natürlich ist man auch dafür verantwortlich, mit wem man zusammenarbeitet.

Viele der lautesten «Cancel Culture»-Brüelis denken, dass diese Konsequenzen die «FREIHEIT» an sich einschränken. Sie werfen sich in die Brust und spielen Winkelried, weil sie die Folgen ihrer Meinungsäusserung nicht ertragen können.

Naja, Freiheit funktioniert in zwei Richtungen. Jeder hat das Recht, seine Positionen laut zu verkünden. Aber alle anderen haben das Recht, zu widersprechen. Sie haben auch das Recht, nichts mehr mit der Person zu tun haben zu wollen. Ich kann mich entscheiden, mit wem ich zusammenarbeiten will, oder wem ich Schokolade abkaufe, oder wem ich einen Job gebe. Passen die Positionen und Handlungen einer Person nicht zu mir, hab ich die FREIHEIT, eine andere Person zu wählen.

Kurz: Alle, die jetzt gerade laut «Cancel Culture» schreien, sind zu feige, um den Konsequenzen ihres Handelns ins Auge zu blicken. Sie posen als Opfer, fühlen sich benachteiligt und wollen den Applaus der Hassbratzen und Trolle, ohne dafür den Respekt der Anständigen zu verlieren. Sorry, Folks, das gibts nicht.

Wenn ihr euch laut äussern wollt, kein Problem. Aber lasst euch ein Paar Eierstöcke wachsen und tragt die Konsequenzen wie eine Frau.

Zum Autor: Reda El Arbi ist 51-jährig, kommt aus Zürich und zog vor einigen Jahren nach Stein am Rhein. Grosse Bekanntheit erlangte er mit seinem Zürcher «Stadtblog» für den «Tagesanzeiger». El Arbi schreibt unverblümt, hat zu allem eine Meinung und polarisiert auch gern. Er ist verheiratet und lebt mit Frau und mehreren Hunden in Stein am Rhein SH.


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