Corona dient oft als Ausrede für eine ausländerfeindliche Haltung, findet GRA-Geschäftsleiterin Dina Wyler. Dies zeige auch ein aktuelles Beispiel.
Dina Wyler GRA Coronavirus
Dina Wyler ist Geschäftsleiterin der GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus. - zvg
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Das Wichtigste in Kürze

  • Die «Basler Zeitung» spricht von einem übermässig hohen Anteil Migranten in Spitalpflege.
  • Diese und die von einem SVP-Politiker gemachten Aussagen aber höchst problematisch.
  • Dina Wyler von der Stiftung GRA warnt: So wird die Realität verzerrt.

Am Donnerstag titelte die «Basler Zeitung», dass rund 70 Prozent der Corona-Betten in der Region durch Migrantinnen und Migranten belegt seien. Die Zeitung beruft sich auf anonyme Quellen aus der Pflege sowie auf ungefähre Schätzungen von Regierungsrat Thomas Weber (SVP). Die SVP reagierte umgehend und kündigte eine Interpellation an, um der Sache auf den Grund zu gehen.

Keine offiziellen Zahlen

Der Artikel der «Basler Zeitung» entpuppt sich bei näherer Lektüre aus mehreren Gründen als höchst problematisch. Auch wenn der Titel des Artikels Anderes vermuten lässt, gibt es keinerlei statistisch erhobene Daten, die auf eine erhöhte Spitalbelastung durch Migrantinnen und Migranten hinweisen würden.

Coronavirus Intensivstation Intensivpflegebetten
Auf der Intensivstation braucht es pro Patient etwa fünf Pflegende. - Keystone

Anonyme Schätzungen seitens des Pflegepersonals können solche nicht ersetzen, da sie auf subjektiver Wahrnehmung beruhen und daher skeptisch zu beurteilen sind.

Der kleine, aber feine Unterschied

Noch viel problematischer ist die falsche Kategorisierung eben jener Menschen, die angeblich vermehrt auf der Intensivstation anzutreffen seien. Denn liest man den Artikel der BaZ wird schnell klar: es handelt sich dabei nicht um Migrantinnen und Migranten, sondern um Menschen mit Migrationshintergrund.

Laut Duden ist ein Migrant oder eine Migrantin, ein Mensch, der in ein anderes Land oder eine andere Region abwandert. Ein Mensch mit Migrationshintergrund hingegen,muss nicht zwingend eigene Migrationserfahrung gemacht haben. Der Bund spricht auch jenen Menschen einen Migrationshintergrund zu, bei denen mindestens ein Elternteil im Ausland geboren wurde.

Migrationshintergrund und Schweizer Pass

Eine Person mit Migrationshintergrund kann also in der Schweiz geboren und aufgewachsen sein, perfekt Schweizerdeutsch sprechen und sogar den Schweizer Pass besitzen. Laut Bundesamt für Statistik wiesen 2019 fast 38% der ständigen Wohnbevölkerung der Schweiz ab 15 Jahren einen Migrationshintergrund auf. In Anbetracht dieser Information relativiert sich die hohe Zahl an Coronapatienten mit Migrationshintergrund erheblich.

Die Meinungen von Thomas Aeschi und Samira Marti zu Migranten mit Coronavirus könnten konträrer nicht sein. - Nau.ch

Dass dieser kleine, jedoch signifikante Definitionsunterschied für viele Menschen irrelevant ist, zeigt das Beispiel des SVP-Nationalrats Thomas Aeschi. Dieser behauptete gegenüber Nau.ch, dass es zu einem regelrechten Corona-Tourismus von Ausländern komme, die bewusst und willentlich krank in die Schweiz einreisen würden, um vom guten hiesigen Gesundheitswesen zu profitieren und den Schweizern die Coronabetten streitig machen würden.

Nährboden für Fremdenfeindlichkeit

Leider sind solche Aussagen wenig erstaunlich. Denn gerade zu Krisenzeiten scheint der Mensch einen Sündenbock für die Misere zu brauchen. Und diesen findet sich, wie so oft, im stereotypischen Bild des schmarotzenden Ausländers. Die Verbreitung solcher Narrative liefert dann den perfekten Nährboden für Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung.

Fremdenfeindlichkeit Rassismus
Demonstration gegen Fremdenfeindlichkeit in der Berner Innenstadt. - Keystone

Sollte jedoch zutreffen, dass vor allem Menschen mit Migrationshintergrund auf den Schweizer Intensivstationen anzutreffen sind, sollte sich die Politik eine ganz andere Frage stellen: Statt diesen Menschen fehlende Disziplin oder Solidarität anzulasten, sollten wir uns als Gesellschaft fragen, ob ein Zusammenhang mit den Lebenssituationen jener Menschen bestehen könnte.

Politik gefordert

Engere Wohnverhältnisse begünstigen beispielsweise die Übertragung von COVID-19. Zudem besteht die Möglichkeit, dass es vielen dieser Menschen nicht möglich ist, ihrer beruflichen Tätigkeit vom gemütlichen Homeoffice aus nachzugehen, was ihr Infektionsrisiko signifikant erhöht.

So betrachtet sollte sich die Politik eher darüber Gedanken machen, welche Teile der Bevölkerung dem Virus besonders ausgesetzt sind und daher besonderen Schutz bedürfen, statt ganze Bevölkerungsgruppen vorsätzlich an den Pranger zu stellen.

Migrationshintergrund Lebensqualität
In der Schweiz haben Menschen mit Migrationshintergrund, insbesondere die ausländischen Staatsangehörigen, eine signifikant geringere Lebensqualität als schweizerische Staatsangehörige ohne Migrationshintergrund. (Symbolbild) - sda - Keystone/AP dapd/OLIVER LANG
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