Wie sicher sind Schweizer Schulen vor Amokläufen?
Ein ehemaliger Schüler tötete an einem Gymi in Graz mehrere Menschen. Bildungsverantwortliche äussern sich zur Situation an Schweizer Schulen.

Das Wichtigste in Kürze
- «Es wäre naiv zu glauben, dass wir von solchen Krisen ausgenommen sind.»
- Dies sagt die Chefin des Zürcher Lehrerverbands zum Amoklauf in Graz.
- Lehrerverbände und Politikerinnen haben Pläne und Forderungen.
Erstmals ist es an einer Schule unweit der Schweiz zu einem schrecklichen Amoklauf gekommen. Ein ehemaliger Schüler schoss am Montag an einem Gymnasium in Graz um sich. Neun Jugendliche im Alter zwischen 15 und 17 Jahren und eine Lehrerin starben.
Das Motiv des Amokschützen ist bisher unklar. Mobbing soll eine Rolle gespielt haben.
Die Betroffenheit bei Schweizer Bildungsverantwortlichen ist gross. «Es macht extrem betroffen», sagt Lena Fleisch. Sie ist Präsidentin des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands (ZLV). «Ein Amoklauf ist ein absolutes Horrorszenario für alle Beteiligten.»
Bei uns undenkbar?
Grundsätzlich müsse man überall mit einer solchen Tat rechnen, sagt Fleisch. Gleichzeitig hofften wir alle, dass es bei uns nicht zu solchen Vorfällen komme. «Es wäre aber naiv zu glauben, dass wir von solchen Krisen ausgenommen sind.»
«Grosse Betroffenheit»
Dagmar Rösler ist Präsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH). «Nein, mit so etwas kann man nicht rechnen», sagt sie. Der Amoklauf löse grosse Betroffenheit und Anteilnahme gegenüber den Angehörigen aus. «Und allen, die dies erleben mussten.»
An Schweizer Schulen sorgten einige Drohungen für Schlagzeilen. Im März wurde eine Basler Sekundarschule nach einer Bombendrohung evakuiert.
Eine Gymilehrerin in Pully VD erhielt im selben Monat die Nachricht, dass sich im Schulhaus mehrere Sprengladungen befänden. Abgeschickt hatte diese ein 18-jähriger Spanier im Auftrag einer 17-jährigen Schülerin des Gymnasiums.
An Schulen im Aargau und in Basel hinterliessen Unbekannte 2024 auf Schultoiletten Amokdrohungen. Auslöser war eine Tiktok-Challenge.
Fokus liege auf Früherkennung
Sind Schweizer Schulen für den Ernstfall gewappnet? «Schulen unternehmen schon alles in ihrer Macht stehende, um die Schule als einen sicheren Ort zu gestalten», sagt Dagmar Rösler. Leider gebe es keine hundertprozentige Sicherheit.
Schweizer Schulen verfügen laut Rösler heute in der Regel über strukturierte Protokolle und Konzepte. Diese seien für den Umgang mit Amoklagen und anderen Gefährdungssituationen vorgesehen.
Die Sensibilisierung und Schulung des Personals sei institutionalisiert, sagt Rösler. «Praktische Übungen finden punktuell statt.» Die Präventionsarbeit werde kontinuierlich ausgebaut. «Wobei der Fokus zunehmend auf Früherkennung respektive Prävention und Krisenintervention liegt.»
Die Sicherheit der Schülerinnen und Schüler hat laut der LCH-Präsidentin dabei höchste Priorität, ohne unnötige Ängste zu schüren.
Evakuationsübungen und Gespräche
Kriseninterventionsteams an Schulen werden bei Bedrohungslagen sofort aktiviert. Auch gibt es für Lehrpersonen, Schulleitungen und Schulsozialarbeitende Sensibilisierungs- und Weiterbildungsangebote.
In einigen Kantonen werden laut Rösler zudem spezifische Module oder Kurse zur Gewaltprävention und zum Verhalten in Amoklagen angeboten.
Lena Fleisch vom ZLV macht darauf aufmerksam, dass an den Zürcher Schulen Prävention bezüglich verschiedener Krisensituationen betrieben werde. «Das beinhaltet beispielsweise Evakuationsübungen, aber auch Gespräche über psychische Gesundheit.» Die Prävention finde rund ums Jahr statt.
«Der einzig sichere Ort für Kinder»
Wie sicher die Berner Schulen vor Amokläufen sind, ist laut der Leiterin Pädagogik von Bildung Bern schwierig zu beantworten. «Wie sicher ist die Gesellschaft, das Leben, sind öffentliche Orte?», fragt Franziska Schwab.
«Schulen tun alles, um sichere Orte für die Kinder zu sein. Oft sind sie der einzige sichere Ort für Kinder.»

Dass Menschen austicken, gibt es laut Wittwer immer wieder. «Gemeinschaft, Zusammenhalt leben, Menschen nicht ausschliessen, darum geht es in der Gesellschaft.» Bildung helfe, das zu verstehen.
«Bundespolitik muss handeln»
Auch Politikerinnen geht der Amoklauf an der Grazer Schule nahe. Florence Brenzikofer ist Grünen-Nationalrätin und Sekundarlehrerin in Liestal BL. «Auf keinen Fall hätte ich damit gerechnet, dass sowas passiert», sagt sie.
Junge, unschuldige Menschen hätten mit ihrem Leben bezahlen müssen. «Da fehlen einem die Worte.» Der Amoklauf lasse einen betroffen und ohnmächtig zurück.

Ihre Schule spiele Notfallszenarien für den Fall eines Amoklaufs regelmässig durch. Wichtig sei aber auch der präventive Ansatz. «Schulen schweizweit müssen niederschwellige Angebote für psychisch angeschlagene Menschen ausbauen.» Denn die Anzahl junger Menschen, die an einer psychischen Erkrankung litten, habe stark zugenommen.
Diese Aufgabe dürfe nicht einzig auf die Kantone abgeschoben werden. «Die Bundespolitik muss auch handeln.»
Sicherheitsvorkehrungen verschärfen?
Bei SP-Ständerätin Franziska Roth löst die Tat «grosse Anteilnahme und Betroffenheit» aus. Solche schrecklichen Taten könnten leider überall passieren, sagt sie. «Das macht vor keiner Landesgrenze halt.»

Neben ihrem Amt arbeitet Roth als Heilpädagogin im Kanton Solothurn. «Schulen in der Schweiz haben verpflichtend ein Sicherheitsdispositiv», sagt sie. Kommunikation und Prävention gehörten unter anderem zur Pflichtaufgabe jeder Schule.
«An erster Stelle steht immer die Prävention», antwortet sie auf die Frage nach der Sicherheit an den Schulen.
Eine Verschärfung der Sicherheitsvorkehrung hält Roth nicht für nötig. Es braucht jedoch genügend Fachpersonen, Weiter- und Ausbildung und Ressourcen, um die Vorgaben des Kantons bestmöglich umsetzen zu können. «Sparprogramme bei Schulen und Bildung sind ein Sicherheitsrisiko.»