Ist der zivile Ungehorsam der Klimaaktivisten notwendig? Ist er überhaupt legitim? Eine Greenpeace-Sprecherin und ein Politik-Professor ordnen ein.
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Klimaaktivisten besetzten den Bundesplatz in Bern. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Die Klimabewegung setzt mit der Besetzung des Bundesplatzes auf zivilen Ungehorsam.
  • Greenpeace sieht den friedlichen Aufstand der Klimabewegung als «dringend notwendig».
  • Politik-Professor Alexander Trechsel hält die Aktion für medial wirksam, aber ungenügend.

Die Klimabewegung sorgt mit der Aktionswoche «Rise Up For Change» zurzeit für Aufsehen. Direkt beteiligt ist erstmals auch die Umweltorganisation Greenpeace.

Sie verfolgten das gleiche Ziel wie andere Organisationen der Klimabewegung, etwa Klimastreik, Extinction Rebellion, Collective Climate Justice und Collective Break Free, sagt Mediensprecherin Yvonne Anliker auf Anfrage von Nau.ch. Greenpeace verstehe sich also als Teil der Klimabewegungen.

Greenpeace: «Räumung ist unverhältnismässig»

Dass die Polizei das Camp auf dem Bundesplatz räumte, kommt bei der Organisation nicht gut an. Anliker sagt: «Greenpeace erachtet die Räumung durch die Polizei als unverhältnismässig.» Die Aktivisten hätten Politik und Wirtschaft auf friedliche Weise aufgefordert, die Klimakrise als Krise zu behandeln.

Klimastreik Bundesplatz Räumung
Bei der Räumung des Bundesplatzes sägte die Feuerwehr Klimaaktivisten von der Kettenblockade los. - Keystone

Greenpeace kritisiert, dass Politik und Wirtschaft die Klimakrise nicht angehen wollten. Deshalb sei die Aufmerksamkeit auf die Aktion des zivilen Ungehorsams gelenkt worden. «Doch nicht eine friedliche Aktion des zivilen Ungehorsams sollte im Zentrum der Diskussion stehen, sondern das eigentliche Problem», sagt Anliker.

Ziviler Ungehorsam als notwendiges Mittel

Das Mittel des zivilen Ungehorsams ist für Greenpeace gerechtfertigt. «Angesichts der Bedrohung durch die Klimakrise war und ist der Aufstand der Klimabewegung dringend notwendig», erläutert Sprecherin Anliker. Wenn alle vorgängigen Verhandlungen, Gespräche und Grossdemonstrationen zu keinem Resultat geführt haben, «dienen Aktionen des zivilen Ungehorsams dazu, friedlich und gewaltfrei auf den andauernden Missstand aufmerksam zu machen.»

Klimastreik Besetzung Bundesplatz Räumung
Ein Klima-Aktivist und zwei Polizisten auf dem Bundesplatz am 23. September, am Tag nachdem die Besetzung der «Rise Up For Change»-Aktion geräumt wurde. - keystone

Greenpeace begrüsst, dass die Klimabewegungen nach dem «Corona-Schock» ihre Stimmen wieder erheben. Das Fazit: «Es ist wichtig, dass mit Rise up for Change das Thema Klimakrise wieder in den Medien und in der Bevölkerung angekommen ist.»

Politikwissenschaftler: Wirkung wird sich erst zeigen

Politikwissenschaftler Alexander Trechsel kommt zu einem ähnlichen Schluss. «Medial hat die Besetzung des Bundesplatzes natürlich eine starke Resonanz erhalten – die öffentliche Aufmerksamkeit konnte erreicht werden.»

Alexander Trechsel
Alexander Trechsel ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Luzern. - unilu.ch

Auf die politische Wirkung treffe das weniger zu, sagt der Professor für Politikwissenschaften an der Universität Luzern. Bei solchen Aktionen gehe es auch nicht nur um das Erreichen eines politischen Ziels, sondern unter anderem um eine Sensibilisierung der öffentlichen Meinung und die kollektive Identität.

«Es wird sich erst in Zukunft herausstellen, wie sehr diese Form des Protests für die Bewegung mittelfristig nützlich oder eher kontraproduktiv ist», sagt Trechsel weiter. Doch ist der zivile Ungehorsam überhaupt ein legitimes Mittel?

Ziviler Ungehorsam «genügt kaum»

Nicht alle Formen des zivilen Ungehorsams seien legitim, so der Politikwissenschaftler. Damit meint er in einer Demokratie etwa gewalttätige Proteste. «Zivilen Ungehorsam in allen seinen Formen kategorisch aus einer Demokratie zu verbannen ist sicher eine vertretbare, aber nicht in allen Fällen zwingende Position. Vor allem, wenn es zu keinen Sachbeschädigungen oder Gefahren für andere Personen kommt», sagt Trechsel.

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Klimaaktivisten demonstrieren waehrend der Aktionswoche Rise up for Change friedlich auf dem Bundesplatz, am Dienstag, 22. September 2020, in Bern. - keystone

In der Schweiz stelle die direkte Demokratie ein wirkungsvolles Mittel zur Verfügung, sich politisch zu beteiligen. Konfrontative Formen des Protests seien in der Schweiz deshalb seltener als in umliegenden Ländern, sagt Trechsel weiter. «Allerdings mahlen für die Protestierenden die direktdemokratischen Mühlen zu langsam. Weil ihre Anliegen ein schnelles Handeln von Politik und Gesellschaft verlangt werden radikalere Partizipationsformen angewandt.»

Abschliessend sagt der Politik-Professor: «Ziviler Ungehorsam allein genügt aber kaum.» Um ein Anliegen durchzusetzen, brauche es auch die Unterstützung anderer Akteure, Mittel und sichtbare Leader.

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