Vor 75 Jahren, am 25. Januar 1946, erschütterte das Wallis das heftigste Erdbeben, das die Region im 20. Jahrhundert erlebte. Das Beben war in der ganzen Schweiz sowie in Frankreich und Italien zu spüren und hinterliess eine bleibende Erinnerung bei der Bevölkerung.
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Das Wichtigste in Kürze

  • «Es war Abend.

Ich war mit meiner Mutter, meiner Grossmutter und meiner kleinen Schwester zusammen. Wir schauten uns gerade Fotos auf dem Küchentisch an, als plötzlich das Licht ausging und alles mit einem Knall zu wackeln begann. Wir waren entsetzt«, sagt Roland Pitteloud gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Die damals sechsjährige Walliser, der in Salins unweit von Sitten lebte, war von diesem plötzlichen Einbruch der Nacht geschockt.

«Wir wussten nicht, was wir tun sollten. Meine Mutter kam aus dem Haus, um zu sehen, was los war. Andere Bewohner waren auf die Dorfstrassen hinausgerannt. Auch in den folgenden Tagen wurde noch viel über das Erdbeben gesprochen. Wir Kinder nahmen aber schnell unser normales Leben wieder auf», erzählt er.

Das Erdbeben erschütterte den Kanton am 25. Januar 1946 um 18.32 Uhr. Das Epizentrum lag im Zentralwallis. Die Leute stürzten ins Freie, Kamine und Ziegel fielen von den Dächern, und die Strassen wurden mit Schutt übersät. Der Strom fiel aus, die Stadt blieb für zehn Minuten in völlige Dunkelheit getaucht. Die Telefonlinien waren innert kurzer Zeit überlastet. Für einige Stunden herrschten grosse Ungewissheit und chaotische Zustände.

Erst am nächsten Tag nahm man die Folgen des Bebens mit einer Magnitude von 5,8 in vollem Umfang wahr: 4 Todesopfer, 3500 beschädigte Gebäude. Die Schadensumme belief sich nach heutigem Wert auf 26 Millionen Franken.

In Sitten stürzte die Decke eines Kinos in den Zuschauerraum, «was aber nicht verhinderte, dass die Vorstellung wie üblich stattfand», schreibt der «Nouvelliste Valaisan». Ein Teil des Gewölbes des Kapuzinerklosters stürzte auf die Strasse, die Spitze des Glockenturms der Kathedrale bewegte sich um 50 Zentimeter. Viele Gebäude erhielten Risse, Glockentürme und Kamine stürzten ein.

In Siders trieb die Angst die Bevölkerung auf die Strasse, wo die Bewohner Feuer entzündeten, um sich in der Kälte zu wärmen. Eine Frau, die sich zum Zeitpunkt des ersten Bebens auf der Strasse befand, «erlag einem emotional bedingten Herzinfarkt», schrieb die «Feuille d'avis du Valais».

Das Dach der um 1920 gebauten neuen Kirche in Chippis von stürzte teilweise ein, und die Glockentürme und Gewölbe mehrerer Kirchen verloren ihre Stabilität. Die steinerne Spitze des Kirchturms von Chalais wurde stark beschädigt. Die Kirche in Plan-Conthey bei Sitten war nach dem Erdbeben so stark beschädigt, dass sie danach neu gebaut werden musste.

Ein Erdrutsch oberhalb von Siders durchtrennte die Simplon-Linie. Im Alpgebiet oberhalb von Ayent fielen mehrere Chalets und Scheunen in sich zusammen. In vielen Walliser Tälern kam es zu Steinschlägen.

Auch im Kanton Waadt verursachte dass Beben Schäden. Bei Villeneuve rutschte ein Stück der Uferpromenade in den Genfersee. In Aigle stürzte die Spitze eines Kirchglockenturms ein. Und in Château-d'Oex fielen alle Bilder einer Kunstausstellung nach dem Erdstoss zu Boden.

Ein Erdbeben dieser Stärke tritt in der Schweiz laut Experten im Durchschnitt einmal pro Jahrhundert auf. Aufgrund der dichteren Bebauung wären die Folgen eines gleich starken Bebens laut dem Schweizerischen Erdbebendienst der ETH Zürich (SED) heute viel grösser.

Im Gegensatz zu 1946 ist der Talboden des Rhonetals mittlerweile dicht besiedelt und Standort grosser Industrieanlagen. Hinzu kommt ein ungünstiger Untergrund: durch sogenannte Standorteffekte wird im weichen Sediment des Talbodens die Amplitude der Erschütterungswellen bis zu zehn Mal verstärkt, wie es auf der SED-Webseite heisst.

Dies bedeutet, dass die Erschütterungen hier viel stärker ausfallen als zum Beispiel an felsigen Standorten, was zu grösseren Gebäudeschäden bis hin zu Hauseinstürzen führen würde. Weil auch viele neue Gebäude einem starken Erdbeben unter diesen Bedingungen wahrscheinlich nicht standhalten würden, wären viel mehr Opfer als 1946 zu erwarten, wie der SED schreibt.

Zum 75. Jahrestag des Erdbebens organisieren das Interdisziplinäre Zentrum für Gebirgsforschung der Universität Lausanne und ein Dutzend Partner mehrere Veranstaltungen, darunter eine Online-Konferenz.

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