Erstmals fand in der Schweiz während eines Hauptverfahrens eine virtuelle Tatortsbegehung statt. Die neue Methode bietet viele Vorteile.
VR Brille (Symbolbild)
VR Brille (Symbolbild) - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Erstmals fand in der Schweiz bei einem Verfahren eine virtuelle Tatortsbegehung statt.
  • Virtuelle Tatortsbegehung wird seit 2017 zwar in Vorverfahren angewandt.
  • Es feiert jedoch Premiere bei einer Hauptverhandlung.

Im Mordprozess am Bezirksgericht Meilen ZH hat am Dienstag eine virtuelle Tatortsbegehung stattgefunden. Es war eine Schweizer Premiere. Anhand der Aufnahmen erläuterten Fachleute, was damals geschehen sein könnte. Einen Sturz oder Sprung aus dem Fenster schlossen sie aus.

Die Methode der virtuellen Tatortsbegehung wurde in der Schweiz seit 2017 zwar zehnmal in Vorverfahren, also in der Untersuchung, angewandt. Noch nie aber in einem Hauptverfahren, wie Ralph Hirt, Mediensprecher der Zürcher Kantonspolizei, sagte. Gründe gebe es verschiedene für eine virtuelle statt eine reale Tatortsbegehung.

Virtuelle Tatorte können nicht verändert werden

Sei ein Tatort einmal virtuell festgehalten, so könne er nicht mehr verändert werden. Zudem wäre im vorliegenden Fall, eine reale Besichtigung durch alle Beteiligten sehr aufwendig gewesen. Denn der Tatort befindet sich in Mallorca.

Erläutert wurden die Aufnahmen von Experten der Unfallmechanik, einem Biotechniker und einer Rechtsmedizinerin. Im Auftrag der Staatsanwaltschaft hatten sie ein Gutachten zum Vorfall auf Mallorca verfasst. Die Situation stütze sich auf die Angaben der Sanitäter, die damals die Verletzte versorgt hätten, sagten die Fachleute.

Unfallhergang in VR

Einer der Experten setzt eine Virtual Reality (VR)-Brille auf. Auf einem grossen Monitor erscheint in Farbe ein Steinhaus, es handelt sich um die gemietete Finca. Ein Fenster liegt im ersten Stock, in dem eine Menschenfigur sitzt. Vor dem Haus liegt ein Vorplatz, gut 40 Zentimeter tiefer eine Einfahrt.

Vor dem Mauerabsatz ist eine menschliche Figur in verschiedenen Positionen zu sehen. Daneben sieht man rot eingezeichnete Blutflecken, vor der Frau ein Auto mit dem Heck zum Haus. Beides kann virtuell bewegt werden.

Laut Anklage hat der Beschuldigte im Dezember 2012 im Ferienhaus auf Mallorca seine Frau schwer zusammengeschlagen. Danach soll er sie vor dem Haus mit dem Auto angefahren und schwer verletzt liegengelassen haben.

«Frau hätte einen psychotischen Schub gehabt»

Der Beschuldigte selbst macht geltend: Die Frau habe sich in einem psychotischen Schub oder in einem epileptischen Anfall aus dem Fenster gestürzt. Die Frau erlitt eine bleibende Gehbehinderung. Im April 2014 soll er sie dann in ihrer Wohnung in Küsnacht ZH getötet haben.

Die Experten schlossen einen Sturz oder Sprung aus dem Fenster im ersten Obergeschoss aus. Weder die Situation noch die Verletzungen - beide Kniescheiben und beide Oberschenkelknochen waren gebrochen - seien damit vereinbar. Ein Aufprall des Autos dagegen wäre gemäss den Gutachtern möglich. Eine Epilepsie der Frau schloss die Rechtsmedizinerin klar aus.

Zum Vorfall auf Mallorca befragte das Gericht auch einen Experten der Unfallchirurgie. Er hatte im Auftrag des früheren Verteidigers eine Stellungnahme zu dem biomechanischen Gutachten verfasst.

Frau hatte schwere Verletzungen am Kopf und Gesicht

Klar ist auch für ihn: Das Verletzungsbild der Frau «ist nicht vereinbar mit einem Sturz oder Sprung aus dem Fenster». Einig sind sich die Gutachter und der Unfallchirurg auch bezüglich der schweren Verletzungen am Kopf und im Gesicht der Frau: Diese wurden von heftigen Faustschlägen verursacht.

Der Unfallchirurg konnte eine Kollision mit einem Auto nicht mit den Verletzungen in Einklang bringen. Ganz im Gegensatz zu den Gutachtern.

Insgesamt könne er sich nicht erklären, was passiert sein könnte. «Mir fehlen die Begleitverletzungen», sagte er. So seien zum Beispiel im Innern der Knie keine Verletzungen dokumentiert.

Verhandlung werden fortgesetzt

Die unterschiedlichen Einschätzungen bezüglich einer Kollision erklärte die Rechtsmedizinerin damit, dass der Unfallchirurg von anderen Voraussetzungen ausgegangen sei. Es gehe nicht um einen Unfall mit hoher Geschwindigkeit, was entsprechende Verletzungen mit sich brächte. Zudem unterschieden sich der Blick des klinischen Arztes und des Rechtsmediziners erheblich.

Die Verhandlung wird am Mittwoch fortgesetzt. Dann geht es um den Fragenkomplex im Zusammenhang mit dem Tod der Frau.

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