Russland-Sanktionen und Hamas-Verbot: Die Kriege in der Ukraine und in Gaza haben die Schweizer Neutralität auf die Probe gestellt.
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Teilnehmer nehmen an einer Sitzung teil, in der eine Weltkarte während des 54. jährlichen Treffens des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos, Schweiz, am Donnerstag, 18. Januar 2024, dargestellt wird. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller) - Keystone
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Ausländische Beobachter am Weltwirtschaftsforum (WEF) sehen Kratzer im Image der neutralen Vermittlerin. Die diplomatische Konkurrenz steht schon bereit: Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE).

«Wir sind die neue Schweiz am Golf», sagte VAE-Wirtschaftsminister Abdulla bin Tuk an einer Diskussionsrunde in Davos GR. Die Fragmentierung der Welt werde mindestens für die nächste Dekade andauern. «Wir müssen uns neu installieren und über neue Handelsrouten, neue Allianzen, Öffnungen und Konflikte nachdenken», sagte er.

Die 480-Milliarden-Dollar-Volkswirtschaft mit geplantem 4- bis 5-prozentigem Wachstum für 2024 will international eine grössere Rolle spielen. «Durch die letzten Krisen haben wir gezeigt, dass wir anpassungsfähig sind», sagte Digitalminister Omar Sultan Al Olama.

Die VAE übten sich bereits in diplomatischer Zurückhaltung: Im Gaza-Krieg zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas verzichteten die Emirate vornehmlich auf Kritik an Israel – ganz anders als andere arabische Staaten.

Wichtige Player nicht dabei: Türkei und Russland

Zudem schlüpfte der Golfstaat jüngst auch in die Rolle als diplomatischer Gastgeber: Im Dezember 2023 etwa richtete der Ölstaat die wichtige 28. Uno-Klimakonferenz COP28 in Dubai aus. Im Februar findet in der Hauptstadt Abu Dhabi die wichtige, nächste Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation statt.

Ein Berater der VAE-Regierung erklärte der Nachrichtenagentur Keystone-SDA am Rande des WEF in Davos, die Schweiz habe ein Image als neutrale Vermittlerin, und diese «Marke» sei von unschätzbarem Wert. Aber es gebe beunruhigende Entwicklungen, die dieses Image beschädigen würden.

Das Weltwirtschaftsforum in Davos sei immer ein Platz für offene Gespräche gewesen, sagte der Berater. Dieses Jahr seien aber wichtige Player nicht dabei, darunter die Türkei und Russland. «Russland ist nicht weit weg und wird aus der Welt nicht einfach verschwinden. Man muss sich mit dem Land auseinandersetzen.»

Diskussionen um ein Hamas-Verbot etwa seien der Rolle als neutrale Vermittlerin ebenfalls abträglich, meinte der arabische Berater. «Es ist der schlechteste Zeitpunkt für die Schweiz, sich für eine Seite zu entscheiden.» In der heutigen zersplitterten Welt müsse eigentlich «die Marke» der Schweiz geschützt werden.

Gratulation zu Guten Diensten

In der Schweiz war rund um die Russland-Sanktionen erneut eine heftige Neutralitätsdiskussion entbrannt. Die einen plädierten für eine klare Positionierung gegen völkerrechtswidrige Aggressoren, andere sehen die Massnahmen als Hindernis für die Neutralität.

Trotzdem konnte die Schweiz zuletzt grosse diplomatische Erfolge verbuchen. Zur Ukraine organisierte die Schweiz 2023 in Lugano TI eine Wiederaufbaukonferenz. Und am vergangenen Sonntag diskutierten in Davos 80 Länder über eine Friedensformel für das kriegsgebeutelte Land. Zudem soll die Schweiz als Nächstes einen grossen Friedensgipfel organisieren.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gratulierte der Schweiz am WEF gemäss den Worten von Bundespräsidentin Viola Amherd zu den Guten Diensten, die die Schweiz für die Ukraine leiste.

Aussenminister Ignazio Cassis sagte am WEF vor Journalisten, dass die Schweiz als Vermittlerin sehr wohl gefragt sei. Dies könne man aber nicht immer öffentlich machen, weil sonst die Schweiz genau ihre Rolle als diskrete Vermittlerin nicht mehr wahrnehmen könne.

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