Obdachlose werden immer wieder Opfer von Gewalt. Zuletzt wurde ein Mann in Deutschland von einem 13-Jährigen erstochen. Wie ist die Sicherheitslage hierzulande?
Gewalt an Obdachlose
Auch in der Schweiz kommt es zu Gewalt an Obdachlosen. Allerdings dank guter Ausgangsbedingungen seltener als im Ausland. (Symbolbild) - pexels

Das Wichtigste in Kürze

  • In Dortmund ereignete sich letzte Woche eine Gewalttat gegen einen Obdachlosen.
  • Der Mann ist verstorben.
  • Festgenommen wurden vier Jugendliche. Im Zentrum der Ermittlung steht ein 13-Jähriger.
  • Auch in der Schweiz sind solche Vorfälle Thema – allerdings viel seltener als im Ausland.
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Es ist ein schockierender Fall von Gewalt. Vergangenen Freitag wurden vier Jugendliche wegen eines Angriffs auf einen obdachlosen Mann im deutschen Dortmund festgenommen. Laut Polizeiberichten steht ein 13-Jähriger im Zentrum der Ermittlungen. Er wird verdächtigt, die tödliche Attacke ausgeführt und gefilmt zu haben.

Die Tragödie ereignete sich im Hafenbereich der deutschen Stadt. Angeblich nach einem heftigen Streit. Das 31-jährige obdachlose Opfer erlitt mehrere Stichwunden – und starb kurz darauf an seinen Verletzungen. Zeugen waren Ruderer, die das Geschehen beobachteten und sofort die Behörden alarmierten.

20 tödliche Delikte pro Jahr

Kein Einzelfall. «Pro Jahr kommt es in Deutschland zu circa 20 tödlichen Gewaltdelikten gegen Obdachlose», sagt der Schweizer Kriminologe Dirk Baier. In rund der Hälfte der Fälle sind die Täter ebenfalls Obdachlose. Öfter kämen andere Gewaltformen, wie zum Beispiel Körperverletzungen, vor. Im Jahr 2022 waren es 605 «schwere» und 846 «einfache».

Weiter belegen Mitte-Studien, dass circa zehn Prozent der deutschen Bevölkerung Obdachlose abwerten. «Die Existenz solcher Einstellungen trägt dann dazu bei, eine gewisse Kultur zu etablieren», sagt Baier. «Vor deren Hintergrund erscheint die Gewalt gegen Obdachlose legitim.»

Und wie sieht es hierzulande aus?

Für die Schweiz sind dem Kriminologen keine Statistiken bekannt. «Würde man die ersteren Zahlen aus Deutschland umrechnen, würde man pro Jahr circa zwei Todesfälle erwarten. Und über 100 Körperverletzungen an Obdachlosen», sagt er. Führt aber aus: «Das würde mir allerdings hoch vorkommen.»

So sagt auch die Kantonspolizei Zürich, dass sie nicht festhält, welchem sozialen Status betroffene Personen angehören. Gleiches gilt für die Kantonspolizei Bern.

Übergriffe auf Obdachlose in Schweiz selten

«Ich erinnere mich an die Tötung eines obdachlosen Mannes 2021 in Zürich», sagt Ralph Miltner von der Stadt Bern. Die Gewalttat wurde von einer Gruppe Jugendlicher durchgeführt und machte damals schweizweit Schlagzeilen. So auch 2008, als ein Mann, der «auf der Gasse unterwegs war», in der Hauptstadt zu Tode geprügelt wurde. Weitere gewalttätige Übergriffe auf Obdachlose sind Miltner aber nicht bekannt.

Gewalt an Obdachlose
Circa zehn Prozent der deutschen Bevölkerung werten Obdachlose ab. Die Existenz solcher Einstellungen trägt zur Ausübung von Gewalt an ihnen bei. (Symbolbild)
Gewalt an Obdachlose
Zwar scheinen solche Taten in der Schweiz eher eine Seltenheit zu sein. Aber genaue Statistiken liegen nicht vor. (Symbolbild)
Gewalt an Obdachlose
Die Kantonspolizeien und Obdachlosenhilfen hierzulande wünschen sich im Fall der Fälle Zivilcourage. (Symbolbild)

«Was nicht heisst, dass solche nicht stattfinden», sagt er. Aus diesem Grund stellt Bern, wie andere grössere Schweizer Städte, über Staatsbeiträge finanzierte Wohn- und Notschlafeinrichtungen bereit.

Gute Ausgangsbedingungen hierzulande

Die Kantonspolizei St. Gallen wertet seit Mitte 2023 Ereignisse auch zusätzlich nach sogenannten «Hate Crimes» aus. Dabei werden in einer Kategorie «übrige» auch Gewalttaten gegen Obdachlose kategorisiert. Doch: «Im Zeitraum seit der Erfassung dieser Zahlen wurde keine entsprechende Tat registriert», sagt Mediensprecher Florian Schneider. Andere Zahlen liegen nicht vor.

Wobei, führt Schneider aus, Gewalttaten gegen Obdachlose erfahrungsgemäss eher selten vorkommen würden. «Dies nur schon aufgrund der Tatsache, dass wir in unserem mehrheitlich ländlich geprägtem Kanton nicht dieselben Herausforderungen haben wie urbanere Kantone.»

Grundsätzlich, denkt Baier, hat die Schweiz gute Ausgangsbedingungen, dass es weniger als in anderen Ländern zu Gewalt gegen Obdachlose kommt. Die Städte sind nicht so anonym wie einige Orte in Deutschland. Trotzdem kann «sicherlich» immer noch mehr gemacht werden, so Baier weiter. Zum Beispiel bezüglich gruppenfeindlicher Einstellungen.

Baier: «Diese muss noch stärker mit Aufklärung, Bildung und so weiter eingedämmt werden.»

Zivilcourage von Beobachtern gewünscht

Wird Gewalt jeglicher Art gegen oder zwischen Menschen beobachtet, wünschen sich die Kantonspolizeien und Obdachlosenhilfen Zivilcourage. «Schauen Sie hin und leisten Sie wo nötig Hilfe. Ohne dass Sie sich selbst in Gefahr bringen», sagt Michelle Egger, Mediensprecherin der Kantonspolizei Bern.

Waren Sie schon einmal Zeuge eines Angriffs auf einen Obdachlosen?

Dabei ist es wichtig, Distanz zu halten. Beobachter sollen nicht aktiv in den Konflikt eingreifen. Bei Bedarf sollen sie Unterstützung anderer Personen hinzuholen. Weiter sollten sie sich Merkmale der Täterschaft einprägen – Kleidung, Sprache, Auffälligkeiten wie Tattoos oder Piercings. Und natürlich umgehend die Polizei unter der Nummer 112 oder 117 verständigen: was, wo, wann und wie.

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