TikTok-Videos verleiten Gen-Z-Frauen zu alten Genderrollen
Das Wichtigste in Kürze
- Viele junge Frauen sehnen sich nach einer Beziehung mit klischierten Geschlechterrollen.
- Der Partner soll sie finanzieren, während sie sich um Kinder und Haushalt kümmern.
- Der Trend schwappt durch TikTok von den USA in die Schweiz über.
Wer zahlt beim Date? Wer arbeitet wieviel und wer macht was im Haushalt? Alles Fragen, die jedes Paar schon beschäftigt haben – vor allem, wenn Kinder da sind.
Für viele heterosexuelle US-Amerikanerinnen auf TikTok ist die Antwort klar: Sie bleiben zu Hause, der Partner arbeitet.
Schon länger liegen Videos von jungen Frauen im Trend, die ihr Leben als «Stay at home girlfriend» zeigen. Also als Freundin, die sich um den Haushalt kümmert und keiner bezahlten Arbeit nachgeht.
Diese Ansichten werden teilweise auch als progressiv ausgelegt. Eine Nutzerin witzelt beispielsweise in einem TikTok-Video: «Ich erwarte nicht, dass er mich finanziert, weil ich frauenfeindlich bin. Sondern, weil ich männerfeindlich bin.»
In den Kommentaren pflichten ihr viele Nutzerinnen bei – ein Argument: «Wir haben schliesslich genug durchgemacht, also zahlen wir nicht.»
US-Beziehungsideale schwappen in die Schweiz über
Alles nur ein US-Ding? Nein, ist Soziologe Marko Kovic überzeugt – er sagt zu Nau.ch: «TikTok ist algorithmisch so konstruiert, dass Videos möglichst international viral gehen.»
Virale Videos aus den USA schwappen also trotz Sprachbarriere schnell zu uns über. Heisst: Die auf TikTok verbreiteten US-Beziehungsansichten beeinflussen auch junge Schweizerinnen.
Kovic erklärt: «Videos, in denen aufrichtig konservative TikTokerinnen den ‹Tradwife›-Lebensstil loben, haben sicher einen gewissen Effekt.»
Dabei würden nämlich nur idyllische Bilder eines perfekten Lebens gezeigt. Der Begriff «Tradwife» beschreibt eine Frau, die in der Ehe eine traditionelle Rolle einnehmen will.
Wie stellen Sie sich eine ideale Beziehung vor?
Sarkastische Videos wie das der Frau, die sich sozusagen aus Rache finanzieren lassen will, hätten weniger Einfluss. «Die meisten User nehmen diese als Witze wahr.»
Aber auch hier seien gewisse Effekte nicht auszuschliessen: «Wenn wir etwas Scherzhaftes immer wieder sehen und hören, bleibt uns die Thematik stärker im Kopf präsent.»
Frauen «ändern nichts» mit Zahl-Forderungen
Geschlechterforscherin Fabienne Amlinger von der Universität Bern gibt zu bedenken: «Es ist eine Hochrisikostrategie, sich als Frau finanziell auf einen Partner zu verlassen. Denn eine Frau legt so ihre finanzielle Eigenständigkeit in die Hand des Partners und ist von ihm abhängig.»
Hinzu kommt: «Auch wenn das von einigen Frauen als Strategie gegen das Patriarchat bezeichnet wird – es bleibt eine individuelle Strategie. An den vorhandenen strukturellen Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern ändert sich damit nichts.»
Denn: «Dass Männer oft mehr verdienen und mehr Vermögen haben, zieht weitere Geschlechterungleichheit mit sich.»