Schweizer bewerten online sogar Sexarbeiterinnen

Rowena Goebel
Rowena Goebel

Luzern,

Egal ob für Essen, Beratung oder sogar Sex – für alles verteilen wir heute Sterne. Die Entwicklung sorgt für Kritik. Denn: Es geht auch um Macht.

Sex
Längst ist es Mainstream geworden, Menschen im Internet zu bewerten – der Ton dabei ist oft rau. Besonders betroffen sind Sexarbeiterinnen. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Selbst für Sex verteilen Schweizer Sterne: Online-Bewertungen gehören längst zum Alltag.
  • Ein Experte kritisiert die Entwicklung. Die Dauerpräsenz des Bewertens tue uns nicht gut.
  • Sexarbeiterinnen sind besonders betroffen. Laut einem Insider ist der Ton rauer geworden.

Der Kellner wirkte desinteressiert, 1 Stern. Die Beraterin war sehr kompetent, aber schwierig zu finden, 4 Sterne. Oder sogar: Die Prostituierte wollte nicht ohne Gummi, 1 Stern!

Die Beispiele aus der Gastro, psychologischen Beratung und einem Erotikclub stammen aus den Google-Bewertungen verschiedener Schweizer Unternehmen.

Praktisch alles lässt sich heute sekundenschnell im Netz bewerten. Ein paar Klicks, und das Feedback – egal wie sachlich oder unsachlich – ist für ein grosses Publikum zu lesen.

Und, wie die drei Beispiele zeigen, verteilen Schweizerinnen und Schweizer nicht nur Beizen und Co. Sternli, sie bewerten auch Menschen. Und das nicht nur knallhart, sondern oft auch unter der Gürtellinie.

«Tr*nse», «H*re», «nicht hübsch» und «alt»

Eine Branche, die besonders davon betroffen ist, ist das Sexgewerbe. Hier sind Machtgefälle und Frust der Kundschaft oft grösser.

Beleidigende Bewertungen gibt es unter anderem auf Google oder in Sex-Foren. Dort werden trans Frauen als «Tr*nsen» beschimpft und Sexarbeiterinnen als «H*ren» betitelt.

Einer beschwert sich, die Frauen in einem Club seien alle «alt» gewesen, ein anderer schimpft, sie seien «nicht hübsch». Oft fallen dabei auch die Namen, unter denen die Frauen ihre Dienste anbieten.

Interessant: Gesellschaftlich werden Sexarbeit und ihre Kundschaft bekanntlich eher in die Schmuddel-Ecke gestellt.

Schreibst du oft Online-Bewertungen?

Trotzdem schreiben viele ihre Puff-Bewertungen ungeniert unter vollem Namen – und mit ihrem Gesicht im Profilbild.

Vielleicht ein weiteres Zeichen dafür, wie alltäglich es geworden ist, Menschen auf einer Skala von eins bis fünf zu bewerten. Aber warum reizt uns dieses Sterne-Verteilen überhaupt so?

Bewerterei gibt uns Machtgefühle

Eine wichtige Rolle spielen Machtgefühle, wie Ethiker Christof Arn, der in Luzern und Graubünden arbeitet, bei Nau.ch erklärt: «Wer bewertet, ist oben. Wer bewertet wird, unten.»

Dieses Machtgefälle entstehe beim Bewerten zwangsläufig. Eine Steigerung davon sind Rezensionen im Sexgewerbe, die sich meist gegen eine sozial schwächer gestellte Sexarbeiterin richten.

Freubad
Die Ohne-Gummi-Kritik stammt aus den Google-Rezensionen des bekannten Erotikclubs Freubad an der Autobahn zwischen Bern und Zürich. - Google Streetview

Bewertungen wie die Ohne-Gummi-Kritik eines Freiers nennt Arn darum «besonders skrupellos». Sie wurde von einem Gast des bekannten Erotikclubs Freubad an der Autobahn zwischen Zürich und Bern hinterlassen. Der Betreiber will sich zum Thema nicht äussern.

«Die Dauerpräsenz dieses Bewertens geht zu weit. Das tut uns nicht gut», fasst der Ethiker zusammen.

Bordellbetreiber: «Beleidigende Bewertungen nehmen zu»

Davon kann auch Magnus*, ein Schweizer Bordellbetreiber, der anonym bleiben möchte, ein Lied singen.

Er stellt fest, dass der Ton im Sexgewerbe seit der Corona-Zeit rauer geworden ist. «Insbesondere negative oder beleidigende Bewertungen nehmen zu», sagt er zu Nau.ch.

Wie findest du die heutige Bewertungs-Kultur?

Freier nehmen zudem immer häufiger online Kontakt mit Sexarbeiterinnen oder Bordellbetreibern auf. Magnus vermutet, dass das den rauen Ton befeuert. Schliesslich ist die Online-Kommunikation schnell möglich, anonym und gratis.

«So lässt sich (sexueller) Alltagsfrust risikolos an den Frauen abreagieren, die sich nicht wehren können oder wollen.»

Freier drängen Frauen mit Bewertungs-Drohung zu Sex-Praktiken

Einige Freier nutzen Bewertungs-Funktionen auch als Druckmittel.

Der Bordellbetreiber erzählt: «Wir erleben immer wieder, dass Kunden drohen, schlechte Bewertungen online zu stellen, wenn eine Frau nicht macht, was sie verlangen.»

Zum Wohl der Frauen nimmt er das in Kauf – auch, wenn es dem Geschäft schaden kann. «Diesen Kunden geht es sicher um Machtausübung. Freier bezahlen für die Dienstleistungen. Wenn sie 100 Franken haben, denken einige schnell, die Welt gehört ihnen.»

Oftmals, insbesondere bei privat arbeitenden Frauen, kämen sie mit solchen Machtspielen auch durch, sagt Magnus. «Wenn die Miete fällig ist und sie noch nichts verdient haben, gehen sie auf vieles ein.»

Frauen sollten vor beleidigenden Bewertungen geschützt werden

Der Branchen-Insider findet darum «ganz klar», dass Sex-Betriebe ihre Mitarbeitenden schützen sollten. Etwa, indem sie keine Bewertungen zulassen oder beleidigende Rezensionen löschen.

Das Erotikstudio Carol Jones, das Magnus betreibt, hat darum kein Online-Bewertungssystem auf der eigenen Webseite. «Der Kunde kann uns im Haus schriftlich oder mündlich an der Rezeption Feedback geben.»

Hast du schon einmal jemanden im Internet beleidigt?

Beschimpfungen, was selten vorkomme, würden nicht weitergeleitet. Für sachliche, begründete Beschwerden finde das Studio jeweils eine Lösung.

Magnus merkt an: «Es gibt durchaus auch Frauen, die viel versprechen, das Geld kassieren und dann nicht halten, was versprochen wurde.»

Um die Frauen zu schützen, nehme zudem eine Rezeption alle Anfragen entgegen. Benimmt sich jemand unflätig, werde er gesperrt.

Auf Google können Kunden jedoch auch bei Magnus' Erotikclub Bewertungen schreiben. Beleidigungen an Sexarbeiterinnen sind keine darunter.

Mitarbeiter-Beleidigungen zulassen «ist schlechter Führungsstil»

Auch Ethiker Christof Arn findet es wichtig, dass Firmen ihre Angestellten vor beleidigenden Online-Bewertungen schützen. Egal, in welcher Branche.

«Öffentliche Beschämung von Mitarbeitenden zuzulassen, ist ausserordentlich schlechter Führungsstil. Gutes tut, wer solche Firmen ignoriert.»

Zusammengefasst: Online-Bewertungen bergen ein Missbrauchs-Risiko.

Bewerten
Bewerten lässt sich heute schnell und fast alles – ein Experte rät jedoch, vor dem Schreiben kurz inne zu halten. - Screenshot Google

Die Funktion ist aber nicht nur schlecht. Sie bietet beispielsweise auch die Möglichkeit, konstruktive Kritik zu erhalten. Also ein Feedback, durch das man sich verbessern kann.

«Kritik konstruktiv zu formulieren ist jedoch hohe Schule», gibt Arn zu bedenken.

Sein Tipp: «Wenn wir ansetzen, eine Bewertung zu schreiben, lohnt es sich, kurz innezuhalten: Warum schreibe ich hier eine Bewertung? Tut es mir selbst überhaupt gut und was könnte ich mit meiner Lebenszeit sonst noch anfangen?»

*Pseudonym

Kommentare

User #5259 (nicht angemeldet)

Eine Bewertung ist nur eine Meinung. Das muss ja nicht die eigene sein.

User #6082 (nicht angemeldet)

Ich sehe nicht ein für ein Produkt was ich in der Schweiz bei einem CH Verlag gekauft habe, eine Bewertung bei einem Ami zu machen. Entweder ist es ein CH Bewertungsportal und sonst mache ich das nicht. Überall wo ich bin kommt immer, ich könne mich via google anmelden. Wann wird das verboten? Das ist Nötigung. Wenn man nein sagt muss das aufhören.

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