In der Schweiz werden pro Jahr für 16'000 Personen psychiatrische Zwangsmassnahmen angeordnet. Diese Zahl soll drastisch gesenkt werden, fordert eine Stiftung.
psychiatrie
In Schweizer Kliniken immer noch erlaubt: Fünf-Punkte-Fixierung an Armen, Beinen und Bauch von Patienten. - dpa/AFP/Archiv

Das Wichtigste in Kürze

  • In der Schweiz kommt es zu immer mehr fürsorgerischen Unterbringungen.
  • Für rund 16'000 Personen wird pro Jahr eine psychiatrische Zwangsmassnahme angeordnet.
  • Das sei viel zu viel, findet Pro Mente Sana und fordert höhere Hürden für Ärzte.
Ad

In der Schweiz werden immer mehr Menschen unfreiwillig von Ärzten in psychiatrische Kliniken geschickt. Die Zahl stieg zwischen 2018 und 2020 auf rund 16'000 Personen pro Jahr an, geht aus Zahlen des Gesundheitsobservatoriums hervor.

Dies sei «viel zu häufig», findet die Organisation für psychische Gesundheit, Pro Mente Sana. Sie fordert in einem Positionspapier, über das die «NZZ» berichtet, neue Richtlinien und höhere Hürden für Ärztinnen und Ärzte.

Zürich weist viermal öfters ein als Appenzell

Psychiatrische Zwangsmassnahmen sind seit jeher eine sensible Thematik, seit 2013 nennt man sie «fürsorgerische Unterbringung» (FU). Solche werden in der Schweiz häufiger als kaum sonst wo angeordnet: Mit einem Wert von 1,8 Zwangseinweisungen pro 1000 Einwohner liegt die Schweiz gemäss einer Studie nur hinter Österreich und Australien. Untersucht wurden 19 Länder.

Psychiatrie
Parkplätze vor einer Psychiatrie. Immer mehr Menschen in der Schweiz sind nicht Besucher in der Psychiatrie, sondern werden zwangseingewiesen.
Gedenktafel
Gedenktafel für Betroffene von Fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen. Die Schweiz hat diesbezüglich eine heikle Vergangenheit.
Sanitätspolizei Bern
Ambulante Therapien sollen künftig auch vom Kanton mitgetragen werden.
Therapeutin mit Patient
Eine Therapie kann bei seelischen Belastungen helfen.

Fachleute erklären den Trend mit einer Zunahme von älteren und dementen Personen. Tatsächlich zeigen sich bei den Zahlen aber auch grosse Unterschiede zwischen den Kantonen. In Zürich kommt es relativ zur Bevölkerungszahl viermal häufiger zu FUs als in Appenzell Innerrhoden.

Hintergrund dafür dürfte auch die rechtliche Praxis sein: In der Schweiz ist nicht einheitlich geregelt, wer alles eine FU anordnen darf. Neben der KESB sind das grundsätzlich auch Ärztinnen und Ärzte. Doch in manchen Kantonen wie Basel-Stadt dürfen nur Ärzte des zuständigen kantonalen Dienstes jemanden einweisen. In Zürich kann theoretisch jeder Augenarzt eine Zwangsmassnahme anordnen.

Stiftung mit Fünf-Punkte-Plan

Pro Mente Sana fordert darum in fünf Punkten eine Verbesserung der Prozesse. Es brauche bessere Kommunikation zwischen den FU-anordnenden Ärzten, den Kliniken und den Betroffenen. Zudem solle fürsorgerische Unterbringung nur noch als Ultima Ratio eingesetzt werden.

Waren Sie schon einmal in psychiatrischer Therapie?

Weiter sollen nur psychiatrisch ausgebildete Mediziner in allen Kantonen künftig eine Zwangsmassnahme anordnen dürfen. Als letztes fordert die Stiftung, dass eine nichtmedizinische Fachperson, wie eine Sozialarbeiterin, bei einer Einweisung beigezogen wird.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

StudieNZZ