Private Firmen zahlen pflegende Angehörige – Kritik
Das Wichtigste in Kürze
- Private Firmen machen aus der Pflege durch Angehörige ein gutes Geschäft.
- Sie bezahlen die Angehörigen und erhalten selbst Geld von Krankenkassen und dem Staat.
- Von verschiedenen Seiten kommt Kritik – eine Firma sagt, was sie mit den Einnahmen macht.
Die Pflege von Angehörigen ist mit grossem Aufwand verbunden. Dazu kommt, dass die Pflegenden dafür oftmals keinen Lohn erhalten. Seit 2019 sieht es nun etwas anders aus – doch das kommt nicht überall gut an.
Aber der Reihe nach: 2019 hat das Bundesgericht entschieden, dass Personen ohne Fachausbildung bestimmte Pflegeleistungen für Angehörige erbringen dürfen. Wie der «Tages-Anzeiger» berichtet, wurden seither zahlreiche Unternehmen gegründet, die die pflegenden Angehörigen entlöhnen.
Das Geschäftsmodell ist simpel. Die Pflegenden erhalten pro Stunde zwischen 30 und 35 Franken.
Die Krankenkasse zahlt der Firma für diese Leistungen rund 52.60 Franken – Kantone und Gemeinden zahlen zudem einen sogenannten Restkostenfinanzierungsbetrag. Unter dem Strich verdient die Pflegefirma also gut an diesem Modell.
Verband: Kosten für Gemeinden sind gestiegen
Sprecher Manuel Ackermann vom Krankenkassenverband Santésuisse bestätigt gegenüber der Zeitung: «Seit dem Bundesgerichtsentscheid ist der Markt sehr stark gewachsen.» Innert kurzer Zeit seien rund 30 Anbieter entstanden, die sich auf das «ertragreiche Geschäft» spezialisiert hätten.
Für Ackermann ist klar: Der Tarif für pflegende Angehörige muss deutlich gesenkt werden. Dies, «damit nicht eine Drittpartei eine hohe Marge abschöpfen kann».
Sollten Personen, die Angehörige pflegen, Lohn erhalten?
Durch den angesprochenen Restkostenfinanzierungsbetrag steigen auch die Kosten für die Gemeinden. Jörg Kündig, Vizepräsident des Schweizerischen Gemeindeverbands, sagt: «Wir stellen fest, dass die Pflege von Angehörigen deutlich zugenommen hat und die Kosten für die Gemeinden entsprechend gestiegen sind.»
Auch Kündig macht einen Vorschlag, wie die Gewinne für die Pflegefirmen auf Kosten von Krankenkassen und Staat reduziert werden könnten. Die Restkostenbeiträge sollen laut ihm wegfallen, wenn Angehörige die Pflegeleistungen erbringen.
Sowohl Ackermann als auch Kündig betonen derweil, dass die privaten Firmen durchaus Sinnvolles leisten. Man stört sich eher an den Kosten als am Angebot an sich.
Kritik kommt auch vom Dachverband Spitex Schweiz. Co-Geschäftsführerin Marianne Pfister zweifelt daran, dass die Qualitätsstandards bei den privaten Spitex-Firmen eingehalten werden.
Traditionelle Spitex-Organisationen verpflichten sich der Einhaltung von bestimmten Standards. Dies wird durch Verträge mit Gemeinden oder Krankenkassen sichergestellt. Private Unternehmen würden dies dagegen «nicht alle in ausreichendem Mass» tun, so Pfister. Es gebe einen «Wildwuchs».
Pfister fordert deshalb einheitliche Regeln für die Pflege von Angehörigen – in der gesamten Schweiz.
Firma verteidigt sich: Noch keinen Gewinn erzielt
Ein Beispiel einer solchen privaten Spitex-Firma ist Pflegewegweiser, die zur Entyre GmbH in Berlin gehört. Benedikt Reiger, Leiter des operativen Geschäfts in der Schweiz, sagt gegenüber der Zeitung: Man habe noch gar keinen Gewinn erzielt.
Die Einnahmen würden stattdessen wieder in das Unternehmen investiert. Das Geld fliesse beispielsweise in die Weiterbildung der pflegenden Angehörigen, heisst es.
Reiger will sich noch nicht festlegen, was man mit dem Gewinn macht, sobald sich die Firma etabliert hat. Man mache sich darüber noch keine Gedanken. Stattdessen konzentriere man sich darauf, ein «nachhaltig gesundes System» zu schaffen.