Kontrolleure & Busfahrer genervt über unfreundliche Leute
Kaum mehr grüssen, von bedanken ganz zu schweigen: Der Ton im ÖV ist rauer geworden. Wann sind wir so unfreundlich geworden? Experten ordnen ein.

Das Wichtigste in Kürze
- SRF-Moderatorin Judith Wernli geht mit ihrem Appell für mehr Freundlichkeit viral.
- Viele stimmen ihr zu: Freundlichkeit – gerade im ÖV – ist eine Entscheidung.
- Doch nur wenige scheinen das umzusetzen. Denn das ÖV-Personal leidet.
Eine Szene im Zug nach Interlaken hat SRF-Moderatorin Judith Wernli nicht mehr losgelassen. Eine Zugbegleiterin erzählt ihr, wieso sie einen Pin mit der Aufschrift «Mehr Respekt für das Personal – Stopp Gewalt» trägt.
Es gebe Tage, an denen werde sie quer durch alle Altersschichten hindurch angehässelt oder laut beschimpft, weil der Zug Verspätung habe oder etwas mit dem Billett nicht stimme, so die Kontrolleurin.
Deshalb ja – brauche es leider einen solchen Pin in ihrem Beruf. Aber es gebe auch die anderen Passagiere. Jene, die freundlich seien, auch mal danke sagen würden und ihr mit ihrem Lächeln den Tag retten würden.
Wernli lanciert folglich in ihrer Radio-Rubrik «Chömmer rede» einen Appell an die Freundlichkeit. «Ein freundliches Miteinander ist doch das, was uns zusammenhält», so die Moderatorin.
Sie denke dabei an ein Lächeln, in die Augen schauen, dem Buschauffeur danke sagen oder Schulkindern auf dem Zebrastreifen zurückwinken.
«Selten kommt etwas zurück»
Ihr Post löst ein riesiges Echo aus. Die Kommentare sind grösstenteils ein Hoch auf die Freundlichkeit. Doch die Realität sieht anders aus.
Denn dass der Ton in den Zügen rauer geworden ist, ist ein Fakt. Vor einem Jahr lancierte die SBB deshalb eine Kampagne gegen Aggressionen im ÖV.
«Täglich kommt es im Durchschnitt zu rund zehn verbalen oder physischen Aggressionen gegen Personal der SBB, welche im Einzelfall in den letzten Jahren gröber geworden sind», so die Begründung der SBB.
Knigge- und Sozialkompetenz-Expertin Susanne Abplanalp hat schon oft beobachtet, dass Fahrgäste unfreundlich zur Zugbegleitung waren.
«Das stört mich», sagt sie. Denn: «Die meisten Zugbegleiter grüssen jeden Fahrgast und bedanken sich für das Zeigen der Fahrkarte. Das ist eine grosse Leistung, zumal selten etwas zurückkommt».
Weshalb die mageren Reaktionen der Passagiere? «Wir verwenden jede freie Minute, um einen Blick aufs Handy zu richten. Insofern sehen vermutlich viele Personen die Frage nach dem Billett als Störung und möchten dies so schnell als möglich erledigt haben», erklärt Abplanalp.
Zudem seien wir tatsächlich schlechter geworden in der Interaktion mit Menschen allgemein. «Augenkontakt oder sogar ein Lächeln unter Fremden nimmt man praktisch nicht mehr wahr.»

Die Expertin gibt bei «Knigge Today» auch Kurse für Buschauffeure. «Diese beklagen sich, dass sie selber freundlich sein müssen und von den meisten Fahrgästen nichts zurückkommt.»
In ländlichen Regionen habe sie aber schon mehrmals beobachtet, dass sich Fahrgäste für die Fahrt sogar bedanken und zurückgrüssten. «In einer Stadt ist dies leider fast nicht feststellbar.»
Wegen Handy im «eigenen Film»
Einen Stadt-Land-Graben sieht auch Soziologe Marko Kovic. «Seit ich selbst ländlich in der Ostschweiz und nicht mehr in Zürich wohne, nehme ich Zürich als eher kalt wahr.» Diese Kälte sei aber auch nachvollziehbar.
«Wenn viele Menschen auf engem Raum miteinander auskommen müssen, ist das hektisch. Alles muss schnell gehen, und viele Leute wollen die Reizüberflutung ständiger Kontakte vermeiden.» Darum bleibe man öfter stumm.

Ein anderer Faktor für die Veränderung der Freundlichkeit dürfte auch in den Augen von Kovic das Smartphone sein. «Viele Leute, besonders jüngere, sind im öffentlichen Raum stark in das Smartphone absorbiert und tragen oft auch Kopfhörer. So kapselt man sich vom physischen Geschehen ab und ist im eigenen Film.»
Die Schweiz habe allgemein den Ruf, sehr unfreundlich zu sein. «Ich glaube nicht, dass das so pauschal stimmt», so Kovic.
Es möge sein, dass besonders die protestantisch geprägten Teile der Schweiz etwas zurückhaltender sind. «Aber insgesamt verhalten sich die Menschen in der Schweiz sehr prosozial.»
Zwar sei nicht jede Interaktion «immer maximal herzlich», aber dafür seien die meisten Interaktionen ungefährlich. «Und wenn etwas Grösseres passiert, zum Beispiel ein Unfall, sind immer viele Menschen hilfsbereit.»
«Freundlichkeit ist eine Haltung»
Welches Verhalten ist nun angebracht?
Er finde, so Marko Kovic, dass man der Zugbegleiterin oder der Service-Person im Restaurant oder der Person an der Kasse in die Augen schauen und freundlich grüssen sollte. «Das sind wichtige Aufgaben. Menschen, die diese Jobs machen, verdienen ein Minimum an Respekt.»
Susanne Abplanalp stimmt Judith Wernlis Appell zu: «Ja, Freundlichkeit ist eine Haltung und bewusste Entscheidung.»

Es zeige sich, dass die Sozialkompetenz von den Eltern an die Schulen und die Firmen delegiert werde.
Eine Marktforschungsstudie von 2023 habe auch ausgesagt, dass über 80 Prozent der Schweizer der Meinung sind, dass Sozialkompetenz in den Schulen gelehrt werden soll. Und zwar je früher, desto besser.
«Wir sollten mehr mit Fremden sprechen, das würde uns allen guttun», so Abplanalp.
Auch Marko Kovic betont: «Es fühlt sich gut an, freundlich zu sein und im Gegenzug selbst Freundlichkeit zu spüren.»
Ein freundlicher Blick gepaart mit einem Lächeln koste nichts und bewirke viel. «Bei der Person, mit der man Kontakt hat, aber genauso bei einem selbst.»












