KMUs zahlen Lohn zu spät – Mitarbeiter rutschen ins Minus
Das Wichtigste in Kürze
- Die Gewerkschaften werden mit Anfragen zu späten oder nicht gezahlten Löhnen überrannt.
- Ein grösseres Risiko haben Angestellte von kleinen oder mittleren Unternehmen.
- Aber auch bei den grossen Betrieben gibt es schwarze Schafe.
Nau.ch-Leserin Hannah Meister* ärgert sich über ihren Arbeitgeber, ein KMU in Bern. Immer wieder erhält sie ihren Lohn zu spät.
«Alle in meinem Umfeld bekommen ihn immer am 25. Nur ich und die anderen in meinem Betrieb nicht!» Es komme immer wieder vor, dass das Geld erst am letzten Tag des Monats auf ihrem Konto liegt.
Und: Ab und zu hätte nicht einmal das geklappt. «Es ist tatsächlich schon vorgekommen, dass Mitarbeiter von mir den Lohn erst am Anfang des Folgemonats bekamen.» Hannah findet das «frech».
Lohn-Zoff sehr häufig
Was Hannah Meister beschreibt, ist eine Geschichte, wie sie Nicole Niedermüller immer wieder hört. Sie arbeitet bei der Gewerkschaft Unia. «Anfragen zum Lohn sind sehr häufig», sagt sie zu Nau.ch.
Oft gehe es um zu spät oder nicht bezahlte Beträge oder falsche Berechnungen. Dabei fällt auf: Einem grösseren Risiko ausgesetzt sind Mitarbeitende von kleinen und mittleren Unternehmen.
Das beobachtet zum Beispiel die Gewerkschaft Syna, die unter anderem Arbeitnehmer aus dem Bau, dem Detailhandel oder dem Gesundheitswesen vertritt.
«In der Regel nur KMUs» betroffen
Fabio Iseini, Syna-Verantwortlicher für die Regionen Olten, Solothurn und Bern, erklärt bei Nau.ch: «Wir haben viele Mitglieder und Nicht-Mitglieder mit diesem Problem. In der Regel nur KMUs, von Grossbetrieben ist mir kein Fall präsent.»
Dem stimmt auch Roger Lang von der Arbeitnehmerorganisation Hotel und Gastro Union zu. «Definitiv. Denn die grösseren Firmen haben ein professionelles HR.» Den KMUs würde manchmal das Know-how fehlen.
Erhältst du deinen Lohn immer rechtzeitig?
In der Logistik-, ICT- und Medienbranche sieht es ähnlich aus. Romi Hofer von der Gewerkschaft Syndicom, die diese Branchen vertritt, meint: «Tendenziell dürften KMU ihre finanziellen Reserven schneller aufgebraucht haben.» In den Syndicom-Branchen seien zu späte Lohnzahlungen eher selten.
Niedermüller von der Unia ergänzt: «Auch bei grösseren Firmen gibt es schwarze Schafe, aber dort ist die Chance grösser, dass alles klappt.» Schliesslich hätten diese Firmen oft eine sauber aufgestellte HR-Abteilung und ein organisiertes Finanzwesen.
Wann ist der Lohn geschuldet?
Was sie klarstellen möchte: «Oftmals wissen Mitarbeitende nicht, wann genau ihr Lohn geschuldet ist. Tatsächlich wird in den meisten Arbeitsverträgen festgehalten, dass der Lohn am 25. ausgezahlt wird.»
Arbeitgeber seien jedoch nicht verpflichtet, das so zu regeln. «Steht im Arbeitsvertrag kein Datum, greift automatisch das Obligationenrecht OR», erklärt die Unia-Sprecherin. Dann muss der Lohn tatsächlich erst spätestens am letzten Tag des Monats auf dem Konto liegen.
Mit einer Ausnahme: Branchen, die stark vom Umsatz abhängig sind, also zum Beispiel die Gastronomie.
«Beizen dürfen den Lohn auch erst im Folgemonat auszahlen. Aber auch sie haben nicht unendlich Zeit. Die Mitarbeitenden müssen das Geld bis spätestens am 15. des Folgemonats haben.»
Gipser, Gastro und Co. oft betroffen
Probleme mit der Lohnzahlung gibt es quer durch alle Branchen, erklärt Niedermüller. Öfters betroffen seien jedoch Tieflohn-Berufe. Also etwa die Reinigung, Gastrojobs oder Berufe in Armierungsbetrieben wie Gipsereien oder Plattenleger.
Ihr zufolge gibt es zwei Hauptursachen für die Zahlungsprobleme: «Erstens Buden, die schlampig geführt werden und bei denen es in der Buchhaltung oder Liquiditätsplanung klemmt. Zweitens Firmen, die in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage sind.»
Niedermüller erinnert sich an einen gravierenden Fall aus der Hotellerie von Anfang Jahr. In Affoltern am Albis ZH musste das Reinigungspersonal eines Hotels ständig auf den Lohn warten.
«Bei Nachfragen wurden die Mitarbeitenden immer wieder vertröstet.» Die Ursache sei klar gewesen: Schlechte Liquiditätsplanung.
«Das Hotel hatte das unternehmerische Risiko falsch eingeschätzt. Die Branche hat Schwierigkeiten, weil die Leute immer kurzfristiger buchen.»
Deshalb müsse man anders planen, als wenn man schon ein halbes Jahr im Voraus wisse, wie viele Gäste kommen.
Mitarbeiter können Rechnungen nicht zahlen
«Die Folgen können gravierend sein», gibt Niedermüller zu bedenken. In der Reinigung oder der Gastro betragen die Löhne oft um die 4000 Franken pro Monat. «Das ist wirklich knapp, so kann man sich nichts ansparen für den Notfall.»
Arbeitest du bei einem KMU?
Gleichzeitig werde erwartet, dass die grossen Ausgaben bis zum Monatsende bezahlt sind. Zum Beispiel die Miete, Krankenkasse oder die ÖV-Abos. «So rutschen die Betroffenen schnell ins Minus.»
Sie kenne gar Fälle von Frauen aus der Reinigung, die wegen der schlechten Zahlmoral des Chefs betrieben wurden.
Gewerkschaft warnt vor Konkursreiter-Firmen
Ein weiteres Risiko für Arbeitnehmende: Unternehmen, die Konkursreiterei betreiben. Also vielleicht bereits mehrere Insolvenzen hinter sich haben und ein paar Monate später wieder neu eröffnen – unter anderem Namen.
«Und das, obwohl sie den Mitarbeitenden der insolventen Firma noch den Lohn schulden.» Betroffen sind oftmals Unternehmen aus der Armierungsbranche.
Spätestens, wenn man den Verdacht hegt, bei einem solchen Unternehmen zu arbeiten, solle man sich an die Gewerkschaft wenden. Niedermüller rät, sich im Voraus gut über neue Arbeitgeber zu informieren.
*Name von der Redaktion geändert