Deutschland fragte an, ob man Schweizer Munition an die Ukraine liefern dürfe. Das Seco lehnte ab – zurecht, wie ein Experte sagt.
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Munition wird aneinandergereiht. (Symbolbild) - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Die Lieferung von Munition an die Ukraine würde die Schweizer Neutralität verletzten.
  • Dies sagt ein Experte in einem Interview mit der «NZZ».

Nach Angaben des Völkerrechtsprofessors Marco Sassòli von der Universität Genf muss die Schweiz die Weitergabe von Munition aus Schweizer Herkunft an die Ukraine verweigern. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) habe richtig entschieden, als es eine entsprechende Anfrage aus Deutschland verweigert habe, sagte Sassòli in einem Interview der «Neuen Zürcher Zeitung».

«Das Neutralitätsrecht verpflichtet die Schweiz, keine Waffen und keine Munition in ein kriegführendes Land zu liefern.

Es handelt sich hier eindeutig um einen internationalen bewaffneten Konflikt, und ein Mandat des Uno-Sicherheitsrats besteht nicht. Würde die Schweiz heute der Weitergabe von Munition an die Ukraine zustimmen, würde sie deshalb das Neutralitätsrecht verletzen.»

Politisch andere Realität

Auch das Schweizer Recht sei klar. Nach der Kriegsmaterialverordnung dürfe die Bewilligung für eine Weitergabe der Schweizer Munition nicht erteilt werden. Die Tatsache, dass die Munition bereits lange vor dem Beginn des Kriegs in der Ukraine geliefert worden war, ändere nichts daran.

Die Schweiz habe sich vorbehalten, dass Deutschland im Falle einer Weitergabe ihre Zustimmung einholen müsse. «Die Schweiz darf diese in diesem Fall nicht geben, weil es darauf hinausliefe, das Neutralitätsrecht zu umgehen.»

Das Völkerrecht verpflichtet die Schweiz nicht dazu, die Weitergabe von Waffen und Munition an eine solche Zustimmung zu knüpfen. Theoretisch könne man argumentieren, es handle sich um eine rein schweizerische Angelegenheit und der Bundesrat könne die Kriegsmaterialverordnung einfach ändern.

«Politisch sieht die Realität aber auch hier anders aus: Der Bundesrat wollte sie ändern, um mehr Spielraum zu erhalten. Das Parlament hat sich klar dagegen gewehrt.»

Auch das Volk stehe immer noch sehr stark hinter der Neutralität. «Die Überzeugung, dass die Schweiz dank der Neutralität zwei Weltkriege überstanden hat, ist tief verwurzelt. Um die Neutralität abzuschaffen, wäre eine Verfassungsänderung nötig.» Deshalb stelle sich die Frage nach der Abschaffung der Neutralität vorerst gar nicht.

Nicht Prinzipien über Bord werfen

«Ich würde aber eine ernsthafte Debatte über den Sinn unseres Konzepts der ständigen Neutralität begrüssen. Nicht sinnvoll ist es aber, nun wegen des Ukraine-Kriegs unüberlegt Prinzipien über Bord zu werfen.»

Der Ukraine-Krieg möge ein eindeutiger Fall sein. Russland sei der offensichtliche Aggressor, der das Völkerrecht grob verletzt. Die Bereitschaft der Schweiz , aussenpolitische Korrekturen vorzunehmen, sei deshalb grösser als früher.

«Aber wenn man einmal die ständige Neutralität aufgibt, kommt man auch in anderen, weniger eindeutigen Fällen unter Druck. Wenn sich die Schweiz vorbehält, sich in gewissen Konflikten nicht ans Neutralitätsrecht zu halten, wird sie weniger berechenbar. Ausserdem wird jede Konfliktpartei der Meinung sein, ihr Fall sei so eindeutig wie derjenige der Ukraine.»

Am Sonntag war bekannt geworden, dass die Seco die Anfrage Deutschlands zur Weitergabe von Munition Schweizer Herkunft an die Ukraine mit dem Verweis auf die Schweizer Neutralität und «die zwingenden Ablehnungskriterien der Kriegsmaterialgesetzgebung» abgelehnt hatte.

Damit ist die Schweiz laut kritischen Stimmen in Deutschland mitverantwortlich dafür, dass Deutschland keine Marder-Schützenpanzer in die Ukraine liefern kann. Deren Gefechtsköpfe sollen nämlich mit Munition bestückt sein, die aus der Schweiz stammt. Auch in der Schweiz mehren sich kritische Stimmen.

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