Erst nach Selbst-Diagnose nehmen Ärzte Endometriose ernst
Bis zu zehn Prozent aller Frauen leiden an Endometriose, verbunden mit kaum aushaltbaren Menstruationsschmerzen. Zwei Betroffene erzählen bei Nau.ch.
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Das Wichtigste in Kürze
- Viele Ärztinnen und Ärzte nehmen Endometriose nicht ernst.
- Millionen von Frauen sind weltweit betroffen, doch die Ursachen & Behandlung sind unklar.
- Endometriose erfordert mehr Forschung und Aufklärung für Betroffene.
- Zwei Betroffene erzählen bei Nau.ch – und machen anderen Mut.
Kaum auszuhaltende Regelschmerzen, heftige Krämpfe beim Geschlechtsverkehr, ein ständiges Blähgefühl. Und trotzdem heisst es oft nur: «Das ist halt so bei Frauen.»
Zwischen rund sechs bis zehn Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter leiden an Endometriose – viele jahrelang unerkannt.
In der Schweiz sind laut dem Universitätsspital Zürich zwischen 190'000 und 280'000 Frauen und Personen mit Gebärmutter (Uterus) betroffen.
Vereinfacht gesagt: Bei Endometriose wächst Gewebe dort, wo es nicht hingehört. Und das verursacht Höllenschmerzen.
Doch viele Betroffene berichten: Sie wurden von Ärztinnen und Ärzten lange nicht ernst genommen – und mit der Pille abgespeist.
Nau.ch hat mit zwei betroffenen Frauen gesprochen.
Die Medizinstudentin Leandra Kretz, heute 23 Jahre alt, bekam ihre Menstruation im Alter von zehn Jahren. «Sehr schnell verlor ich viel Blut und hatte starke Schmerzen», sagt sie.
«Niemand kam auf die Idee, dass es Endometriose sein könnte»
Wenige Jahre später, im Alter von 13 Jahren, ging sie deswegen zu ihrer Frauenärztin. «Das einzige Angebot, das ich erhalten habe, war der Vorschlag, die Antibabypille zu nehmen.»
Mit der Pille wurde es zwar besser. «Aber es ging nie ganz weg – ich hatte weiterhin mit Schmerzen, Übelkeit und Bewusstlosigkeit zu kämpfen.»
Später, als Leandra Kretz sich der hohen Hormondosis der Pille bewusst wurde, setzte sie das Präparat ab. «Ich entschied mich, stattdessen die Hormonspirale zu nehmen – von da an wurde es besser.»
Trotzdem: Geheilt war die Krankheit nicht. «In all diesen Jahren kam nie jemand auf die Idee, dass es etwas anders sein könnte als eine normale Menstruation.»
Schmerzen und psychische Belastung Monat für Monat
Davon kann auch die Radiomoderatorin Amanda Haussener, heute 29 Jahre alt, ein Lied singen. Auch sie nahm früh die Pille, setzte sie aber nach dem Ende einer langjährigen Beziehung ab.
«Zunächst fuhr ich sehr gut damit», sagt sie. «Doch im zweiten Jahr ohne Pille drehte sich alles plötzlich.»
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Amanda Haussener spürte das prämenstruelle Syndrom (PMS) stärker, stürzte in ein Loch und dachte schon, es wäre eine Depression.
Doch dann merkte sie: Die Schmerzen, verbunden mit den grossen psychischen Belastungen, kehrten jeden Monat zurück. Es ist also der weibliche Zyklus, der ihr zusetzt.
Aber: Von Endometriose war zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede.
Bei Leandra Kretz war es dann sie selbst, die den Verdacht äusserte – nicht Ärztinnen oder Ärzte. Social Media spielte hierbei für die Aufklärung eine grosse Rolle.
Es brauchte also eine Selbstdiagnose, ehe die Beschwerden ernst genommen wurden.
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Als sie ihre neue Hausärztin nach dem Umzug mit dem Verdacht konfrontierte, bestärkte diese sie. «Ich fühlte mich das erste Mal für meine Problematik gesehen», sagt Leandra Kretz. «Als ich die Verdachtsdiagnose erhielt, war ich sehr erleichtert.»
Seither nimmt sie neben Schmerzmitteln auch das Hormonpräparat Visanne, das gegen Endometriose hilft.
Zudem hat die Studentin inzwischen herausgefunden, was ihr guttut bei einem Endometriose-Schub – von Wärmekissen bis Bewegung. «Ich will mit der Krankheit leben, anstatt gegen sie anzukämpfen», sagt sie.
Amanda Haussener befindet sich hingegen noch im Diagnoseprozess. Sie wartet sehnlichst auf den Termin in der Sprechstunde, um endlich Klarheit zu haben.
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Sie fühlte sich schon mehrfach nicht ernst genommen. Etwa als ihr die Frauenärztin wieder die Antibabypille verschreiben wollte. «Da wird man auch ein bisschen sauer. Ich habe mich ja bewusst gegen die Pille entschieden und wünsche mir einen Fortschritt.»
Und: «Die Pille unterdrückt bloss die Symptome und packt das Problem nicht an der Wurzel.»
Sexistische Studie sorgte für Aufruhr
Endometriose betrifft Millionen Frauen und Personen mit Uterus weltweit. Und trotzdem weiss die Medizin bis heute erschreckend wenig über Ursachen und Behandlung.
Statt Forschung gab es lange Ignoranz.
Besonders beispielhaft zeigt das ein Fall aus dem Jahr 2013: Männliche Ärzte bewerteten in einer Studie die Attraktivität von Patientinnen mit Endometriose.

Die Fachzeitschrift zog sie später zurück. Abgesehen vom absurden Fokus lieferte die sexistische Studie dennoch einige wichtige Erkenntnisse zur Krankheit.
Dahinter steckt ein strukturelles Problem: Lange wurde in der Medizin vor allem an Männern geforscht. Was für Männer galt, wurde einfach auf alle übertragen.
Krankheiten, die mehrheitlich Frauen betreffen, wurden lange Zeit nicht ernst genommen – und werden es in Teilen weiterhin nicht. So auch bei der Endometriose.
Gynäkologie-Präsident: «Endometriose ist keine Modekrankheit»
Michael Mueller ist Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Er bestätigt gegenüber Nau.ch: «Endometriose wird oft erst spät erkannt, weil die Symptome häufig als ‹normal› abgetan werden.»
«Viele Betroffene erleben eine jahrelange Odyssee, bis ihre Beschwerden ernst genommen werden», sagt er.
Dazu komme: Die Krankheit ist von aussen nicht sichtbar und verläuft individuell sehr unterschiedlich.
«Bis vor Kurzem wusste man viel zu wenig über Endometriose. Sie wurde zu selten diagnostiziert und oft nicht ernst genommen.»
Es habe lange an Forschung und öffentlicher Aufmerksamkeit gefehlt.
Michael Mueller betont: «Dass heute mehr darüber gesprochen wird, ist kein Ausdruck einer ‹Modekrankheit›. Sondern ein längst überfälliger Schritt hin zu besserem Verständnis, frühzeitigerer Diagnose und wirksameren Therapien.»
Schliesslich sei Endometriose eine «ernsthafte chronische Erkrankung, die viele Frauen betrifft».
Laut ihm gebe es «deutliche Fortschritte» in Diagnose und Therapie – etwa durch neue Tests und personalisierte Behandlungskonzepte.
Wichtig seien weiterhin Aufklärung, frühzeitige Verdachtsdiagnosen, mehr Forschung und die Stärkung der Patientinnenkompetenz. «Damit Betroffene ihre Beschwerden artikulieren und ärztliche Hilfe gezielter einfordern können.»
Auch Lisa Michel, Endometriose-Nurse am Universitätsspital Zürich, kennt solche Geschichten gut.
Manche verlieren sogar Job wegen Endometriose
Sie sagt bei Nau.ch: «Viele Patientinnen bekommen von ihrem Umfeld oder sogar von Fachpersonen zu hören: Es sei normal, dass man starke Schmerzen während der Menstruation habe oder dass man dies einfach aushalten müsse.»
Das Problem: Die Krankheit zeigt sich unterschiedlich. Die Diagnose sei «nicht immer einfach» und erfordere «viel Erfahrung».

Die Folge: «Viele Betroffene fühlen sich über die Jahre nicht ernst genommen», so Lisa Michel. Manche verlören sogar Job oder Lehrstelle.
Immerhin: «Wir bekommen aktuell viele Zuweisungen von niedergelassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen, die bereits den Verdacht haben.»
Es habe sich in den letzten Jahren viel getan, doch es gebe noch Luft nach oben.
Und auch in der Forschung tut sich etwas – etwa mit Speicheltests oder künstlicher Intelligenz.
Doch: «Aber generell kann dies nur potenzielle Hinweise auf eine Endometriose-Erkrankung liefern.» Ein Speicheltest sei noch kein zuverlässiges Tool zur Diagnostik und daher nur in Einzelfällen zu empfehlen.
Expertin fordert «empathische Grundhaltung»
Lisa Michel sagt: «Mir ist es wichtig, dass andere Fachpersonen eine empathische Grundhaltung einnehmen. Und dass wir die Betroffenen ernst nehmen in ihrem persönlichen Empfinden.»
Zudem sollen mehr Endometriose-Nurses ausgebildet werden. «Wir am Universitätsspital Zürich haben bereits die ersten Schritte in diese Richtung unternommen. Wir bekommen viele positive Rückmeldungen von Betroffenen zum Angebot der Endometriose-Nurses.»
Auch am Berner Inselspital kommen Endometriose-Nurses zum Einsatz. Dort wurde eigens ein Kompetenzzentrum für die Krankheit eingerichtet.
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Auch die beiden Betroffenen fordern mehr Forschung – und vor allem mehr Aufklärung.
Leandra Kretz wünscht sich, dass Endometriose endlich enttabuisiert wird: «Die Krankheit soll wie andere chronische Krankheiten behandelt werden – sachlich und ernst.»