Erst Gewebeuntersuchungen deuten auf Verbrechen hin
Im Prozess um die mutmassliche Tötung einer 73-jährige Frau im August 2016 in Küsnacht ZH sind am Montag am Bezirksgericht Meilen ZH drei Gerichtsmediziner zur Todesursache befragt worden. Sie waren sich nicht einig.

Das Wichtigste in Kürze
- Von der Staatsanwaltschaft aufgeboten waren zwei Fachleute des Instituts für Rechtsmedizin (IRM) Zürich, darunter dessen Direktor.
Im Auftrag des Verteidigers des mutmasslichen Täters gab ein Experte des entsprechenden Instituts in Hamburg einer Stellungnahme zu den Erkenntnissen seiner Zürcher Kollegen ab.
Die getötete Ärztin war an einem Sonntag, dem Tag nach der mutmasslichen Tat, von ihrem Sohn aufgefunden worden. Die Zürcher Experten schilderten die Fundsituation der Leiche.
Die Frau lag auf dem Rücken im Bett, nachlässig bedeckt von einem Duvet. Über ihrem Gesicht lag ein Kissen, die Räume waren durchwühlt. Die Spurensicherung stellte zudem ein Fetzchen Zellophan - also Klarsichtfolie - neben dem Kopf sowie Fremd-DNA an Handgelenk und Kissen sicher, sagte der Mediziner. Darüber hinaus sei auch ein grösseres Stück Folie gefunden worden.
Die 73-jährige Ärztin war einen Monat zuvor wegen Krebs operiert worden. Ansonsten sei sie aber völlig gesund gewesen. Verletzungen seien keine festgestellt worden. Weder bei der äusserlichen Begutachtung der Leiche noch bei der Obduktion tags darauf konnte man eine Todesursache feststellen.
Erst Gewebe-Untersuchungen zeigten: Die Wände der Lungenbläschen waren zerrissen. In Kombination mit der Fundsituation wies dies auf «Ersticken bei mechanischer Obstruktion der Atemwege» als wahrscheinlichste Todesursache hin, so die Zürcher Experten.
Laut dem von der Verteidigung aufgebotenen Gerichtsmediziner aus Hamburg gibt es keinen Beweis für einen Erstickungsvorgang. Die Veränderungen des Lungengewebes seien «eindeutig überbewertet».
Es sei nicht gerechtfertigt, daraus auf einen Erstickungstod zu schliessen. Die Frau hätte seit Jahren an einer Lungenüberblähung leiden können. Auch etwa ein plötzlicher Herztod sei möglich.
Im übrigen monierte er ungenügende Untersuchungen der Zürcher Kollegen. Die ungewöhnliche Auffinde-Situation hätte weitergehende Untersuchungen nach sich ziehe müssen etwa auf der Suche nach Spuren des Kissens im Gesicht und in den Atemwegen oder nach Abwehrverletzungen.
Der IRM-Direktor wies die Kritik zurück. Die Untersuchungen seien umfassend gewesen. Im übrigen sei er «erstaunt, dass die Partei-Gutachter die Befunde weg-diskutieren».
Am Vormittag hatte sich ein psychiatrischer Gutachter zum mutmasslichen Täter geäussert, der laut Anklage im Auftrag der heute 46-jährigen Tochter der Getöteten handelte. Er hatte sich für das Gutachten auf Unterlagen und Akten stützen müssen, da sich der Beschuldigte weigerte, mit ihm zu reden.
Bei dem 37-jährigen Bauarbeiter diagnostizierte er eine dissoziale Persönlichkeitsstörung mit psychopathischen Zügen. Die Rückfallgefahr für schwere Gewaltdelikte in Bereicherungsabsicht stufte er als mittelgradig ein, für andere Delikte wie etwa Diebstähle sei sie gross. Als angebracht erachtete er eine ambulante Therapie.
In der auf sechs Tage angelegten Verhandlung haben sich vier Schweizer zu verantworten. Neben dem Bauarbeiter und der Frau sind dies ein 31-jähriger Barkeeper, der bei der Tat mit dabei gewesen sein soll, der sich aber nach Kolumbien abgesetzt hat, und ein 29-Jähriger Töffmechaniker, dem einige Nebendelikte vorgeworfen werden.
Die Verhandlung wird am Dienstag fortgesetzt. Dann werden die Parteien mit ihren Plädoyers beginnen. Als erster hat der Staatsanwalt das Wort. Das Urteil folgt voraussichtlich Anfang September.